Dr. Stephan Pauly, Dr. Stephan Osnabrügge
Rz. 93
Erzeugen (offene) Videoaufzeichnungen einen solchen psychischen Anpassungs- und Leistungsdruck, dass sie als eine der verdeckten Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensive Maßnahme anzusehen sind, ohne dass ein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung bestand, liegt eine Unverhältnismäßigkeit der Datenerhebung nach § 26 BDSG vor. Eine vom Arbeitgeber veranlasste verdeckte Überwachungsmaßnahme zur Aufdeckung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers kann nach § 26 BDSG zulässig sein. Der Schutz des Arbeitnehmers vor einer rechtswidrigen Videoüberwachung verlangt nicht, auch solche unstreitigen Tatsachen außer Acht zu lassen, die dem Arbeitgeber nicht nur durch die Videoaufzeichnung, sondern ohne Rechtsverstoß auch aus einer anderen Informationsquelle bekannt geworden sind.
Rz. 94
Mithören von Telefongesprächen
Art. 6 Abs. 1 EMRK – Gebot der Waffengleichheit in einem gerichtlichen Verfahren – gebietet nicht die Vernehmung von Zeugen, die heimlich mitgehört haben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Partei, die die Zeugen hat mithören lassen, keinen wichtigen Grund dafür hatte, dies zu tun. In diesem Fall hat sie ihre Beweisnot durch das Unterlassen des Hinweises auf das Zuschalten der Mithöranlage selbst verursacht. Lässt der Arbeitgeber einen Dritten über eine Freisprechanlage eine Unterredung mit einem Arbeitnehmer, dem er kündigen will, ohne dessen Wissen mithören, so darf der Dritte über den gesamten Inhalt der Unterredung nicht als Zeuge vernommen werden, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu verstehen gegeben hat, dass er die Unterredung als vertraulich behandeln wolle.
Nach der Rechtsprechung des BAG führt der Umstand, dass eine Partei die Kenntnis der von ihr behaupteten Tatsachen auf rechtswidrige Weise erlangt hat, nicht notwendig zu einem Verbot von deren prozessualer Verwertung. Falls die betreffenden Tatsachen von der Gegenseite nicht bestritten werden, also unstreitig geworden sind, besteht ein solches Verbot nur, wenn der Schutzzweck der bei der Informationsgewinnung verletzten Norm einer gerichtlichen Verwertung der Information zwecks Vermeidung eines Eingriffs in höherrangige Rechtspositionen dieser Partei zwingend entgegensteht. Hat eine Partei den Tatsachenvortrag der Gegenseite nicht bestritten, ist ihr die Möglichkeit, sich auf die Rechtswidrigkeit der ihm zugrundeliegenden Informationsbeschaffung zu berufen, nur dann genommen, wenn in ihrem Nichtbestreiten zugleich die Einwilligung in eine prozessuale Verwertung der fraglichen Tatsachen liegt. Dann wiederum stellt sich die Frage nach einem Verwertungsverbot nicht.
Rz. 95
Die gerichtliche Verwertung von Kenntnissen, die der Arbeitgeber aus dem verbotswidrigen Mithören eines Telefongespräches des Arbeitnehmers gewonnen hat, verletzt das Recht des Arbeitnehmers am eigenen Wort. Gegenüber der Vernehmung eines Zeugen, der ohne Wissen und Genehmigung eines der Telefonierenden ein Telefonat über eine Freisprechanlage mithörte, besteht ein Beweisverwertungsverbot.
Rz. 96
Der Vernehmung einer Zeugin, die ein Telefongespräch ohne Wissen eines der Gesprächspartner mitgehört hat, steht grundsätzlich ein aus Art. 1 und 2 GG abgeleitetes Beweisverwertungsverbot entgegen. Eine – angenommene oder tatsächlich bestehende – "Beweisnot" oder das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen grundsätzlich nicht aus, um die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Gesprächspartners zu rechtfertigen. Vielmehr ist hierfür erforderlich, dass sich die Beweisnot zu einer notwehrartigen Lage steigert. Für eine Parteivernehmung von Amts wegen gem. § 448 ZPO genügt die bei einer Partei infolge des Beweisverwertungsverbots bestehende Beweisnot allein nicht. Vielmehr ist hierfür Voraussetzung, dass bereits ein sog. Anfangs- oder Anbeweis erbracht ist. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG und dem Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK ist Genüge getan, wenn die sich in Beweisnot befindende Partei in der mündlichen Verhandlung anwesend ist, sich zum Beweisthema und ggf. zum Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme äußern kann und dies auch tut.