Rz. 10

Trifft der Erblasser Anordnungen für die Auseinandersetzung des Nachlasses, so kommt es häufig vor, dass die den einzelnen Miterben zugewiesenen Vermögensgegenstände wertmäßig nicht ihren Erbquoten entsprechen. In diesem Fall liegt, wenn die letztwillige Verfügung keine Aussage zu dieser Problematik macht, nach der gesetzlichen Auslegungsregel eine Teilungsanordnung gem. § 2048 BGB vor. Diese besagt, dass der Begünstigte einen Ausgleich an die anderen Miterben zu leisten hat, damit alle Miterben wertmäßig am Nachlass entsprechend ihrer Erbquoten beteiligt sind. Ist kein Ausgleich des Begünstigten zu leisten, liegt ein sog. Vorausvermächtnis vor. Maßgebliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung ist nach dem BGH, ob der Erblasser einem der Miterben durch die Zuwendung einen Vermögensvorteil verschaffen wollte, ob beim Erblasser der sog. Begünstigungswille vorlag.[24]

Die Teilungsanordnung selbst konkretisiert gem. § 2048 BGB nur den Erbteil, während das Vorausvermächtnis zusätzlich zum Erbteil erworben wird. Das Vorausvermächtnis wird gem. § 2176 BGB sofort als schuldrechtlicher Anspruch mit dem Erbfall fällig und ist vor der Miterbenauseinandersetzung durchsetzbar,[25] während die Teilungsanordnung nur durch die Erbauseinandersetzung erfüllt wird. Mit der Teilungsanordnung hat der Erblasser die Möglichkeit, einen gesetzlichen Erben dauernd aus einer Erbengemeinschaft auszuschließen, während bei Vermächtnisanordnung zugunsten eines gesetzlichen Erbens ein Vorausvermächtnis vorliegt. Der Vermögensvorteil des Miterben muss beim Vorausvermächtnis nicht notwendig in einer finanziellen Besserstellung liegen.[26] Auch die Einräumung des Rechts, einen Gegenstand zu einem bestimmten Preis erwerben zu können, erfüllt diese Voraussetzungen.

 

Praxishinweis

Hauptanwendungsfall des Vorausvermächtnisses ist das an den Vorerben. Soll der Vorerbe hinsichtlich bestimmter Gegenstände des Nachlasses vollständig von den Beschränkungen der Nacherbfolge befreit werden, bietet sich das Vorausvermächtnis als geeignetes Gestaltungsmittel an.[27]

[24] BGH ZEV 1995, 144; OLG Hamm ZEV 2021, 728 (Ls.).
[25] OLG Saarbrücken ZEV 2007, 759; Eberl-Borges, ErbR 2020, 306, 307; Roth, NJW-Spezial 2022, 7.
[26] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 14.
[27] Staudinger/Avenarius, § 2100 Rn 7, 41; Roth/Hannes/Mielke, Vor- und Nacherbschaft, § 14 Rn 27; Kollmeyer, ZEV 2019, 125, 126.

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