1. Begriff

 

Rz. 9

Ein Vorausvermächtnis ist die vermächtnisweise Zuwendung eines Gegenstandes oder Rechtes an einen der Miterben ohne Ausgleichszahlung an die weiteren Miterben oder den Erben (§ 2150 BGB). Will der Erblasser einen bestimmten letztwillig Bedachten gegenüber den übrigen Miterben wertmäßig besser stellen, dann hat er hierzu die Möglichkeit, ein Vorausvermächtnis in seine letztwillige Verfügung aufzunehmen.

2. Abgrenzung

 

Rz. 10

Trifft der Erblasser Anordnungen für die Auseinandersetzung des Nachlasses, so kommt es häufig vor, dass die den einzelnen Miterben zugewiesenen Vermögensgegenstände wertmäßig nicht ihren Erbquoten entsprechen. In diesem Fall liegt, wenn die letztwillige Verfügung keine Aussage zu dieser Problematik macht, nach der gesetzlichen Auslegungsregel eine Teilungsanordnung gem. § 2048 BGB vor. Diese besagt, dass der Begünstigte einen Ausgleich an die anderen Miterben zu leisten hat, damit alle Miterben wertmäßig am Nachlass entsprechend ihrer Erbquoten beteiligt sind. Ist kein Ausgleich des Begünstigten zu leisten, liegt ein sog. Vorausvermächtnis vor. Maßgebliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen Vorausvermächtnis und Teilungsanordnung ist nach dem BGH, ob der Erblasser einem der Miterben durch die Zuwendung einen Vermögensvorteil verschaffen wollte, ob beim Erblasser der sog. Begünstigungswille vorlag.[24]

Die Teilungsanordnung selbst konkretisiert gem. § 2048 BGB nur den Erbteil, während das Vorausvermächtnis zusätzlich zum Erbteil erworben wird. Das Vorausvermächtnis wird gem. § 2176 BGB sofort als schuldrechtlicher Anspruch mit dem Erbfall fällig und ist vor der Miterbenauseinandersetzung durchsetzbar,[25] während die Teilungsanordnung nur durch die Erbauseinandersetzung erfüllt wird. Mit der Teilungsanordnung hat der Erblasser die Möglichkeit, einen gesetzlichen Erben dauernd aus einer Erbengemeinschaft auszuschließen, während bei Vermächtnisanordnung zugunsten eines gesetzlichen Erbens ein Vorausvermächtnis vorliegt. Der Vermögensvorteil des Miterben muss beim Vorausvermächtnis nicht notwendig in einer finanziellen Besserstellung liegen.[26] Auch die Einräumung des Rechts, einen Gegenstand zu einem bestimmten Preis erwerben zu können, erfüllt diese Voraussetzungen.

 

Praxishinweis

Hauptanwendungsfall des Vorausvermächtnisses ist das an den Vorerben. Soll der Vorerbe hinsichtlich bestimmter Gegenstände des Nachlasses vollständig von den Beschränkungen der Nacherbfolge befreit werden, bietet sich das Vorausvermächtnis als geeignetes Gestaltungsmittel an.[27]

[24] BGH ZEV 1995, 144; OLG Hamm ZEV 2021, 728 (Ls.).
[25] OLG Saarbrücken ZEV 2007, 759; Eberl-Borges, ErbR 2020, 306, 307; Roth, NJW-Spezial 2022, 7.
[26] Staudinger/Otte, § 2150 Rn 14.
[27] Staudinger/Avenarius, § 2100 Rn 7, 41; Roth/Hannes/Mielke, Vor- und Nacherbschaft, § 14 Rn 27; Kollmeyer, ZEV 2019, 125, 126.

3. Praktische Konsequenz

 

Rz. 11

Bei der Ausschlagung haben beide Rechtsinstitute unterschiedliche Rechtsfolgen. Die Teilungsanordnung wird bei Ausschlagung der gesamten Erbschaft gegenstandslos. Im Gegensatz hierzu ist dies beim Vorausvermächtnis nicht der Fall. Dort kann das Vorausvermächtnis unabhängig vom Erbteil ausgeschlagen werden (§ 2180 BGB). Ausnahme ist hier, dass der Erblasser das Vorausvermächtnis unter der Bedingung der Annahme der Erbschaft ausgestaltet hat.

Im Rahmen des Pflichtteilsrechts ergeben sich auch unterschiedliche Folgen. Die Teilungsanordnung bzw. die darin enthaltene Zuweisung ist für den Miterben zwingend. Einzige Ausnahme ist die Beeinträchtigung seines Pflichtteilsrechts (vgl. §§ 2305, 2306 Abs. 1 BGB). Ein Vorausvermächtnis kann i.R.d. Pflichtteilsrechts einfach gem. § 2307 BGB ausgeschlagen werden.

Das Vorausvermächtnis ist im Gegensatz zur Teilungsanordnung bei gemeinschaftlichen Verfügungen von Todes wegen nicht frei widerruflich, da es gem. §§ 2270 Abs. 2, 2278 Abs. 2 BGB erbvertraglich oder gem. § 2270 Abs. 2 BGB bei einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament wechselbezüglich angeordnet werden kann. Dabei entsteht bereits vor dem zweiten Erbfall ein Schutz des Bedachten gegenüber lebzeitigen Verfügungen des Erblassers gem. § 2288 BGB.

4. Übernahmerecht des Vorausvermächtnisnehmers

 

Rz. 12

Ein Übernahmerecht liegt vor bei der Zuweisung eines bestimmten Nachlassgegenstandes an einen Miterben mit der Bestimmung, dass dieser das Recht haben soll, den betreffenden Gegenstand zu übernehmen, und zwar entweder zum Verkehrswert oder zu einem vom Erblasser festgelegten Übernahmepreis. Liegt der Verkehrswert über dem Übernahmepreis, so liegt i.H.d. Differenz ein Vorausvermächtnis für den begünstigten Miterben vor. Im umgekehrten Fall liegt ein Vorausvermächtnis für die nicht übernahmeberechtigten Miterben vor. Das Übernahmerecht für den Begünstigten ist ein Gestaltungsrecht, das erst nach dessen Ausübung einen Anspruch auf Übertragung des betreffenden Gegenstandes bei der Erbteilung entstehen lässt.[28] Die Abgrenzung zur Teilungsanordnung liegt darin, dass für den Miterben beim Übernahmerecht keine Verpflichtung besteht, den Gegenstand zu übernehmen. Er kann frei über die Übernahme ...

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