Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 12
Die Gerichte für Arbeitssachen haben keinen Anlass, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbots gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO überhaupt vorliegen oder ob die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO ausreichend gewesen wäre, denn sie sind an die Entscheidung des Insolvenzgerichts gebunden (Uhlenbruck/Zobel, § 22 InsO Rn 67). Sie haben die Entscheidung des Insolvenzgerichtes zu respektieren und können die Kündigungsbefugnis nicht etwa mit der Begründung ablehnen, die Freiheitsbeschränkung des Schuldners sei unangemessen gewesen. Die ArbGe sind im Verhältnis zu den anderen Gerichtszweigen nicht eine "Superrevisionsinstanz", dem Grundsatz nach hat jeder Gerichtszweig die Entscheidungen eines anderen Gerichtszweiges und/oder vorgelagerte Verwaltungsakte von Behörden zu beachten (Berscheid, ZIP 1997, 1569, 1575 m.w.N.; ders., ZInsO 1999, 205, 207). Dies gilt auch im Verhältnis zwischen ArbG und Insolvenzgericht.
Rz. 13
Ob die ArbGe bei inhaltlich unklarem, insb. zweideutigem Bestellungsbeschluss durch Vernehmung des Insolvenzrichters klären können, ob Maßnahmen nach § 22 Abs. 2 InsO oder solche nach § 22 Abs. 1 InsO getroffen worden sind, mit anderen Worten, ob die Kündigungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen ist oder nicht (so zum bisherigen Recht LAG Baden-Württemberg v. 18.6.1996 – 10 Sa 98/94, EWiR 1996, 855 m. Anm. Uhlenbruck = KTS 1996, 537 = ZIP 1996, 1387) wird inzwischen zu Recht in Zweifel gezogen (Uhlenbruck/Zobel, § 22 InsO Rn 67). Ein Bestellungsbeschluss ist aus sich heraus auszulegen, sofern der Wortlaut des Beschlusses die Kündigungsbefugnis nicht eindeutig regelt. Des Weiteren sind Beschlüsse des Insolvenzgerichts, in denen
▪ |
entweder dem vorläufigen Insolvenzverwalter, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, Pflichten aufgebürdet werden, die über die Pflichten nach § 22 Abs. 1 S. 2 InsO hinausgehen, |
▪ |
oder in Fällen, in denen dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, die gesetzlichen Aufgaben des vorläufigen Insolvenzverwalters eingeschränkt werden, |
▪ |
als hoheitlicher Akt grundsätzlich beachtlich (vgl. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 sub IV 2b; BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, NZI 2012, 365 Rn 13; Uhlenbruck/Ries, InsO § 22 Rn 67). |
Rz. 14
Eine einschränkende Aufgabenzuweisung durch das Insolvenzgericht bei Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes ist nicht möglich. Mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist eine gesetzliche Aufgabenzuweisung an diesen verbunden. Welche Aufgaben der vorläufige Insolvenzverwalter zu erfüllen hat, ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Nr. 1–3 InsO (Nerlich/Römermann/Mönning, InsO § 22 Rn 27; Berscheid, ZInsO 1999, 697, 699; ders., NZI 2000, 1, 2). Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, bestimmt das Gesetz, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Wenn und Aber, also vollständig "übergeht" (§ 22 Abs. 1 S. 1 InsO). Diese "gesetzliche Kompetenzzuweisung" kann nur nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 S. 2 InsO noch erweitert werden, indem das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter – um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden – ermächtigt, das Unternehmen des Schuldners stillzulegen (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO a.E.), oder "zusätzlich" beauftragt, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO). Mit diesen Maßgaben handelt es sich um eine abschließende, und zwar umfassende Regelung der Aufgabenzuweisung (Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, S. 56 Rn 106).
Rz. 15
Für die Frage, ob der vorläufige Insolvenzverwalter kündigungsbefugt ist oder nicht, ist allein der Inhalt des Bestellungsbeschlusses entscheidend, denn aus den ihm durch das Insolvenzgericht gem. § 22 Abs. 2 S. 1 InsO auferlegten Pflichten ergeben sich mittelbar auch seine Befugnisse, die zu einer entsprechenden Pflichtenerfüllung erforderlich sind (BGH v. 18.7.2002, NJW 2002, 3326 = ZInsO 2002, 819 = ZIP 2002, 1625).