Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 16
Primäre Aufgabe des starken vorläufigen Insolvenzverwalters ist es nach § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 InsO, die (künftige) Haftungsmasse zu sichern und zu erhalten; er kann sie also nicht beliebig verwerten (Pape, ZIP 1994, 89, 91 f.; ders., WPrax 1995, 236, 240). Sofern das Unternehmen nicht schon vor seiner Bestellung durch den Schuldner stillgelegt worden ist (Uhlenbruck, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 325, 346 Rn 20) und soweit nicht das Insolvenzgericht zur Vermeidung einer erheblichen Verminderung der (künftigen) Insolvenzmasse einer (Voll- oder Teil-) Stilllegung des Unternehmens zustimmt (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO), hat der vorläufige Insolvenzverwalter das Unternehmen des Schuldners einstweilen bis zur Verfahrenseröffnung und danach als endgültiger Insolvenzverwalter bis zum Berichtstermin (§ 158 Abs. 1 InsO) fortzuführen. Allerdings ist dem vorläufigen Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren eine Einschränkung der schuldnerischen Unternehmungen bis hin zur Grenze des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO gestattet, also die Stilllegungen von Betriebsteilen, nicht aber von ganzen Unternehmensteilen (Kirchhof, ZInsO 1999, 436, 437), etwa kompletten Betrieben. Besteht das Unternehmen aus einem Betrieb, der neben einer Verwaltung die Betriebsteile Maschinenbau und Rohrbau hat und fährt Letzterer nur Verluste ein, dann kann der vorläufige Insolvenzverwalter diesen Betriebsteil zur Sicherung der (Rest-) Masse auch ohne insolvenzgerichtliche Zustimmung stilllegen, ohne dass die ArbGe diese Desinvestitionsentscheidung auf ihre Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit hin überprüfen dürfen (Berscheid, NZI 2000, 1, 4).
Rz. 17
Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 und Abs. 2 InsO befasst sich nicht nur mit den Pflichten, sondern auch mit den Rechten des vorläufigen Verwalters. Da die Befugnisse des "schwachen" vorläufigen Verwalters nicht über die Pflichten des "starken" vorläufigen Verwalters hinausgehen dürfen (§ 22 Abs. 2 S. 2), kann der "schwache" auch keine besseren Rechte haben als der "starke". Dieser darf sie nur insoweit ausüben, als es der Zweck der Vermögenssicherung bis zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung erfordert (vgl. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO). Die Vorschrift ist keine Kündigungsschutznorm. Die Folgen einer fehlenden Zustimmung des Insolvenzgerichtes zur Stilllegung führen nicht ohne Weiteres zu einer Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender materieller Berechtigung des "starken" vorläufigen Insolvenzverwalters, eine solche Kündigungsentscheidung zu treffen und durchzuführen. Es muss nämlich streng zwischen dem, was der vorläufige Insolvenzverwalter im Außenverhältnis bewirken kann, und dem, was er im Innenverhältnis tun darf, unterschieden werden (BAG v. 27.10.2005, NZI 2006, 310 = ZInsO 2006, 388 = ZIP 2006, 585, unter Hinweis auf Kirchhof, ZInsO 1999, 436, 438). Die Sanktion für zu weitgehendes Handeln des vorläufigen Insolvenzverwalters ist dann allein eine Schadensersatzpflicht gem. § 60 InsO im Innenverhältnis (Kirchhof, ZInsO 1999, 436, 438; MK-InsO/Haarmeyer, § 22 Rn 26). Spricht er wegen der beabsichtigten Teilstilllegung Kündigungen aus oder will er den Betrieb aufgrund eines Sanierungskonzepts "verkaufsfähig" machen (BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NJW 1997, 611 = NZA 1997, 148 = ZIP 1996, 2028; s. dazu auch Berscheid, BuW 1997, 931, 833) oder die besagte Teilstilllegung des Schuldnerbetriebes vornehmen, dann darf auch in einem solchen Fall Prüfungsmaßstab für die ArbGe nur sein, ob das Kündigungsrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters vom Bestellungsbeschluss des Insolvenzgerichts erfasst wird oder nicht (LAG Erfurt v. 18.8.1997, LAGE § 2 GesO Nr. 1 = DB 1997, 2440 = ZAP ERW 1998, 54; ebenso LAG Hamm v. 26.11.1996, InVo 1999, 234, 241 = ZInsO 1999, 363, 364).
Rz. 18
Zur Stilllegung eines Betriebs als Ganzes, also eines ganzen Unternehmensteiles, ist dagegen die Zustimmung des Insolvenzgerichtes notwendig (Kirchhof, ZInsO 1999, 436, 437). Sie wird erteilt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht nachvollziehbar darlegt, dass bei einer Fortführung die vorhandene freie Masse aufgezehrt wird und keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Sanierungsfähigkeit und Sanierungsmöglichkeit bestehen (AG Aachen v. 29.3.1999, NZI 1999, 279 = ZInsO 1999, 482 = ZIP 1999, 1494). An die insolvenzgerichtliche Entscheidung sind die Gerichte für Arbeitssachen gebunden (Berscheid, NZI 2000, 1, 4) und dürfen ihrerseits nicht nachprüfen, ob die Voraussetzungen für die Zustimmung zur Stilllegung vorlagen oder nicht. Sind in einem Einzelfall einmal die Maßnahme der Stilllegung und ihre Durchführung "nur" unzulässig, weil der "starke" vorläufige Insolvenzverwalter seine Befugnisse überschritten hat, so bleiben die Maßnahme und ihre Umsetzung im Außenverhältnis rechtswirksam (Kirchhof, ZInsO 1999, 436, 438). Schon deshalb ist die Zustimmung des Insolvenzgerichtes zur Unternehmensstilllegung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch den "starken" vorläufi...