Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 44
Die Darlegungs- und Beweislast des (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalters beschränkt sich auf die "Vermutungsbasis" (BAG v. 6.12.2001, NZA 2002, 999 = ZInsO 2002, 1104), d.h. auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschriften des § 1 Abs. 5 KSchG (so zu § 1 Abs. 5 KSchG a.F. LAG Köln v. 1.8.1997, BuW 1998, 198 m. Anm. Sander = NZA-RR 1998, 160 = ZAP ERW 1998, 46 m. Anm. Berscheid; bestätigt durch BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, BuW 1998, 799 = NZA 1998, 1110 = ZIP 1998, 1885) bzw. des § 125 Abs. 1 InsO (LAG Hamm v. 6.7.2000 – 4 Sa 233/00, EWiR 2001, 125 m. Anm. Grimm = ZInsO 2001, 336; LAG Hamm v. 6.7.2000, DZWIR 2001, 107, 111 m. Anm. Weisemann = ZInsO 2000, 569). Der (vorläufige/endgültige) Insolvenzverwalter muss mithin zunächst lediglich darlegen (LAG Hamm v. 2.9.1999, ZInsO 2000, 352; LAG Hamm v. 25.11.2004, LAGE § 125 InsO Nr. 5 = LAGReport 2005, 376, 378 = ZInsO 2005, 616),
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dass der Interessenausgleich wegen einer bestimmten Betriebsänderung rechtswirksam zustande gekommen ist, |
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dass der Arbeitnehmer wegen der diesem Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsänderung entlassen worden ist, |
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ggf., dass der Arbeitnehmer einem betroffenen Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet worden ist, |
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dass der gekündigte Arbeitnehmer in diesem Interessenausgleich oder in einer Namenliste, die Bestandteil desselben ist, namentlich bezeichnet ist. |
a) Wirksames Zustandekommen eines Interessenausgleichs
Rz. 45
Die Anwendung des § 1 Abs. 5 KSchG bzw. des § 125 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Interessenausgleich wegen einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG rechtswirksam zustande gekommen ist und dass die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind. Den übrigen Inhalt des Interessenausgleichs und das "Wie" seines Zustandekommens lässt § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO offen (Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 178). Beide Vorschriften knüpfen an das System der §§ 111, 112 BetrVG an. Es handelt sich bei dem in § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO genannten Interessenausgleich nicht um einen solchen "eigener oder neuer Art" (so aber Arend, Personalabbau nach der InsO, S. 90; Hess, § 125 InsO Rn 6; Lohkemper, KTS 1996, 1, 20; NR/Hamacher, § 125 InsO Rn 14; Schrader, NZA 1997, 70, 73; Warrikoff, BB 1994, 2338, 2341; Zwanziger, § 125 InsO Rn 2), sondern um einen solchen i.S.d. § 112 Abs. 1 BetrVG, denn es gibt – wie die Bezugnahme auf § 111 BetrVG erkennen lässt – keine unterschiedlichen Begriffe oder Grundlagen für einen Interessenausgleich im Zusammenhang mit Betriebsänderungen inner- oder außerhalb der Insolvenz eines Unternehmens, sondern lediglich Interessenausgleiche mit unterschiedlichen Regelungsinhalten (KPB/Moll, § 125 InsO Rn 20; zust. Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 178; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 9; ähnl. Giesen, ZIP 1998, 46, 50; Lakies, RdA 1997, 145, 149; Matthes, RdA 1999, 178, 180; B. Preis, DB 1998, 1614, 1615).
Rz. 46
Für das Zustandekommen des Interessenausgleiches gelten die Regelungen des § 112 Abs. 1–3 BetrVG, allerdings im eröffneten Insolvenzverfahren mit der Modifizierung durch § 121 InsO. Der (vorläufige/endgültige) Insolvenzverwalter muss den Interessenausgleich mit dem zuständigen Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat abgeschlossen haben (ArbG Gießen v. 17.11.1998, AE 1999, 33), denn der mit einem unzuständigen Betriebsrat abgeschlossene Interessenausgleich ist unwirksam. Betrifft die zur Sanierung des Unternehmens geplante (Personal-)Maßnahme mehrere Betriebe, ist die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates nach § 50 Abs. 1 BetrVG für den Interessenausgleich und damit auch für die Aufstellung einer Namensliste mit dem Insolvenzverwalter begründet (vgl. BAG v. 7.7.2011, ZInsO 2011, 1756; BAG v. 24.1.1996 – 1 AZR 542/95, NZA 1996, 1107 = ZIP 1996, 1391; BAG v. 8.6.1999, NZA 1999, 1168 = ZIP 1999, 1898). Die Vermutungswirkung der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist unternehmensbezogen und der Betriebsbegriff nach dem KSchG mit dem des BetrVG nicht identisch (Ohlendorf/Salamon, NZA 2006, 131, 133 ff.; zust. Ascheid/Preis/Schmidt/Kiel, § 1 KSchG Rn 795, vgl. ferner B. Gaul, BB 2004, 2686, 2687; Löwisch, RdA 1997, 80, 81; a.A. Fischer, BB 2004, 1001, 1003, der meint, die Namensliste müsse auch bei unternehmensbezogenem Interessenausgleich mit dem örtlichen Betriebsrat vereinbart werden, da die Sozialauswahl betriebsbezogen durchzuführen sei).
Rz. 47
Der Interessenausgleich muss vor Ausspruch der Kündigungen abgeschlossen sein (Berscheid, MDR 1998, 816, 817; Lakies, RdA 1997, 145, 151; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 178 mit zahlreichen Nachweisen in Fn 104 und Fn 105; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 11; a.A. Grunsky/Moll, Rn 365). Vereinbaren Betriebsrat und Verwalter bei betriebsbedingten Kündigungen erst nach Ausspruch der Kündigungen und damit nach Beginn der Betriebsänderung eine Namensliste, so ist die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO nicht erfüllt (so zu § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F.: ArbG Offenbach/M. v. 18.6.1997, AiB...