Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 1
Inhaltlich ändert sich durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens grds. nichts an den zu diesem Zeitpunkt mit dem Schuldner bestehenden Arbeitsverhältnissen. § 108 Abs. 1 S. 1 InsO ordnet den Fortbestand der Dienstverhältnisse, zu denen namentlich auch die Arbeitsverhältnisse zählen, mit Wirkung für die Insolvenzmasse an. Die Arbeitsverhältnisse bestehen danach grds. über den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) hinaus unverändert und mit allen Rechten und Pflichten fort. Dies gilt insb. für die Hauptleistungspflichten, aber auch für sämtliche Nebenpflichten (Uhlenbruck/Ries, § 108 InsO Rn 46). Trotz der Insolvenz des Arbeitgebers ist der Arbeitnehmer daher verpflichtet, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen; er behält im Gegenzug dazu seinen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung als Masseschuld (§ 55 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter ist grds. verpflichtet, den Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen und ihm das vereinbarte Arbeitsentgelt zu zahlen. Stellt der Insolvenzverwalter Arbeitnehmer von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, bleiben die Arbeitsentgeltansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gem. § 615 BGB i.V.m. §§ 293 ff. BGB bestehen.
Rz. 2
Mit Verfahrenseröffnung ist der Arbeitgeber nicht mehr berechtigt, die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis auszuüben. Alle Befugnisse fallen dem Insolvenzverwalter zu, § 80 Abs. 1 InsO. Dieser tritt in die Arbeitgeberstellung ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus (BAG v. v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, NZI 2014, 324). Ob der Insolvenzverwalter unmittelbar in die Arbeitgeberstellung einrückt oder die Arbeitgeberfunktion lediglich ausübt, war schon zu Zeiten der Konkursordnung umstritten. Den Theorienstreit über die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters hat die InsO nicht gelöst (vgl. zum Meinungsstand Berscheid, in: FS Hanau, S. 701, 704 ff.; MK-InsO/Ott/Vuia, § 80 InsO Rn 121). Einigkeit besteht darin, dass der Insolvenzverwalter nicht Rechtsnachfolger des Gemeinschuldners ist (Heinze, AuR 1976, 33, 35) und dass es bei Verfahrensbeendigung zu einem "Rückfall" der Arbeitgeberfunktionen auf den Gemeinschuldner kommt (Berscheid, in: FS Hanau, S. 701, 705 m.w.N. in Fn 12; Gottwald/Haas/Bertram/Künzl, § 102 Rn 28). Das BAG behandelt den Insolvenzverwalter allerdings in Bezug auf den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als Rechtsnachfolger des Schuldners. Die materiell-rechtliche Funktion des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber kraft Amtes bedingt prozessual seine Stellung als Arbeitgeber i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG (BAG v. 21.11.2013 – 6 AZR 979/11, NZI 2014, 324; BAG v. 27.2.2008, NZA 2008, 549 = ZInsO 2008, 391). Für den Begriff des Rechtsnachfolgers i.S.d. § 3 ArbGG kommt es nach Ansicht des BAG (v. 27.2.2008 – 5 AZB 43/07, NZA 2008, 549) nicht darauf an, ob der Insolvenzverwalter an die Stelle des Arbeitgebers tritt. Nach Auffassung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OBG) bleibt der Schuldner auch in der Insolvenz Vertragsarbeitgeber. Der Insolvenzverwalter wird aber für die Dauer des Insolvenzverfahrens faktisch Arbeitgeber. Er tritt daher in die Arbeitgeberstellung des Schuldners ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus (GmS-OBG v. 27.9.2010, NZA 2011, 534 = ZInsO 2009, 820 = ZIP 2009, 825; BAG v. 5.2.2009, ZIP 2009, 984 = ZInsO 2009, 1116).
Rz. 3
Praktische Relevanz hat der Streit über die arbeitsrechtliche Stellung bzw. Funktion des Insolvenzverwalters ohnehin nicht. Unabhängig von der dogmatischen Einordnung stehen dem Verwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens sämtliche Rechte aus dem Arbeitsverhältnis zu, insb. das Direktions- und Kündigungsrecht. Ebenso ist der Verwalter aus den fortbestehenden Arbeitsverhältnissen im eröffneten Verfahren verpflichtet. Er schuldet zulasten der Masse (§ 108 Abs. 2 i.Vm. § 55 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. InsO) das Arbeitsentgelt und ist für die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich. Der Insolvenzverwalter ist an sämtliche bestehenden Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge ebenso gebunden wie vormals der Schuldner als Arbeitgeber (BAG v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, NZA 1987, 455 = ZIP 1987, 727; Uhlenbruck/Mock, § 80 Rn 159; Gottwald/Haas/Bertram/Künzl, § 102 Rn 86 u. 88). Er hat Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten (BAG v. 20.11.1970 – 1 AZR 409/69, BB 1971, 567 = DB 1971, 534; BAG v. 17.9.1974, NJW 1975, 182; BAG v. 26.7.2007, ZIP 2008, 428; ausführlich zu den Mitbestimmungsrechten siehe § 43 Rdn 731 ff.), und zwar insb. gem. §§ 111–112a BetrVG, da ansonsten Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG ausgelöst werden (BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 176/82, NZA 1985, 400 = ZIP 1985, 633; BAG v. 9.7.1985, NZA 1986, 100 = ZIP 1986, 45; BAG v. 8.11.1988, NZA 1989, 278 = ZIP 1989, 256; ...