Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 83
Dringende betriebliche Erfordernisse bedingen die Kündigung einer bestimmten Zahl von Arbeitnehmern, besagen aber noch nicht, welchen von mehreren in Betracht kommenden Arbeitnehmern zu kündigen ist. Stehen mehrere Arbeitnehmer für eine betriebsbedingte Kündigung zur Wahl, so ist auch bei Kündigungen im Insolvenzverfahren unter den in Betracht kommenden Arbeitnehmern eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten gem. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zu treffen (BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 271/80, KTS 1983, 134 = ZIP 1983, 205; BAG v. 21.7.1988, NZA 1989, 264 = ZIP 1989, 57; Hillebrecht, ZIP 1985, 257; a.A. LAG Hamm v. 9.4.1980, ZIP 1980, 470; LAG Hamm v. 21.5.1985, ZIP 1986, 246; Mohrbutter, KTS 1983, 3, 15), also zu prüfen, welcher Arbeitnehmer durch die Kündigung weniger hart getroffen wird, d.h. welcher Arbeitnehmer auf seinen Arbeitsplatz am wenigsten angewiesen ist (allgemein zur betriebsbedingten Kündigung siehe § 30 Rdn 568 ff.). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der (vorläufige/endgültige) Insolvenzverwalter den Betrieb nicht weiterführt, sondern schritt-, stufen- oder etappenweise stilllegt und nur noch einige Arbeitnehmer mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt. Der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer ist arbeitsplatzbezogen, nach der ausgeübten Tätigkeit, zu bestimmen. An einer Vergleichbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelungen nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (BAG v. 5.6.2008, BB 2009, 447).
Rz. 84
Nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind – trotz bestehender Vergleichbarkeit – solche Arbeitnehmer, deren ordentliche Kündbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist (LAG Hamm v. 23.3.2000, ZInsO 2000, 570), wie z.B. betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger (§ 15 KSchG), unter den mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz fallende Arbeitnehmerinnen (§ 17 MuSchG), Elternzeitberechtigte (§ 18 BEEG), Arbeitnehmer/innen von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG oder der Pflegezeit nach § 3 PflegeZG (§ 5 PflegeZG), Schwerbehinderte (§§ 168 ff. SGB IX), Bergmannsversorgungsscheininhaber (§ 1 BVSG Nds., § 11 Abs. 1 S. 1 BVSG NW, § 11 Abs. 1 S. 1 BVSG Saarland). Liegt die erforderliche behördliche Zustimmung zur Kündigung von Arbeitnehmern mit besonderem gesetzlichen Kündigungsschutz dagegen vor (etwa die Zustimmung des Integrationsamtes nach § 168 SGB IX bei Kündigung eines schwerbehinderten Menschen oder die Zustimmung der zuständigen Arbeitsschutzbehörde nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG bei der Kündigung einer Schwangeren), sind auch die Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz in die Sozialauswahl einzubeziehen (LAG Berlin v. 24.3.1998 – 17 Sa 167/97, n.v.; Ascheid/Preis/Schmidt/Kiel, § 1 KSchG Rn 623). Befristete Arbeitsverträge können entgegen der Regelung des § 15 Abs. 3 TzBfG in der Insolvenz selbst dann ordentlich gekündigt werden, wenn das Recht dazu nicht ausdrücklich vereinbart worden ist (§ 113 S. 1 InsO), sodass diese Arbeitnehmer ebenfalls in die soziale Auswahl einzubeziehen sind. Außerhalb der Insolvenz ist umstritten, ob Arbeitnehmer, deren ordentliche Kündbarkeit tarifvertraglich ausgeschlossen ist, zum auswahlrelevanten Personenkreis gehören (ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 312 m.w.N.). In der Insolvenz sind diese sog. altersgeschützten Arbeitnehmer in die soziale Auswahl einzubeziehen, da sie nach § 113 S. 1 InsO wie jeder andere Arbeitnehmer ordentlich gekündigt werden können.