Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 4
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht zu einem Wegfall oder einer Minderung des Arbeitnehmerschutzes. Arbeitsrechtliche Schutzvorschriften muss der Insolvenzverwalter uneingeschränkt beachten. Lediglich in Bezug auf die Kündigungsfristen, eine vereinbarte Vertragsdauer und einen Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts sieht § 113 InsO für den Insolvenzverwalter Erleichterungen vor. I.Ü. aber sind Kündigungen durch den Insolvenzverwalter nicht privilegiert. Auf das Schriftformerfordernis für Kündigungen, § 623 BGB, muss der Insolvenzverwalter bei Ausspruch von Kündigungen ebenso achten wie auf eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Die Wirksamkeit einer Kündigung unterliegt auch in der Insolvenz sowohl der sozialen Rechtfertigung nach den Bestimmungen des KSchG als auch den Regelungen zum Sonderkündigungsschutz einzelner Gruppen von Arbeitnehmern (siehe Rdn 29 ff.). Bei Massenentlassungen sind die §§ 17, 18 KSchG vom Insolvenzverwalter zu berücksichtigen (siehe Rdn 38 ff.).
I. Kündigungsberechtigung des Insolvenzverwalters
Rz. 5
Anders als im Insolvenzeröffnungsverfahren, in dem es für die Kündigungsbefugnis auf die dem vorläufigen Insolvenzverwalter verliehene Rechtsstellung ankommt, § 22 InsO (siehe § 60 Rdn 1), steht das Recht zur Kündigung dem Insolvenzverwalter ab Verfahrenseröffnung uneingeschränkt zu. Mit dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) rückt der Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung der nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehenden Arbeitsverhältnisse ein und übt (spätestens) ab diesem Zeitpunkt sämtliche Arbeitgeberfunktionen und Rechte aus (GmS-OBG v. 27.9.2010, NZA 2011, 534 = ZInsO 2009, 820 = ZIP 2009, 825; BAG v. 5.2.2009, ZIP 2009, 984 = ZInsO 2009, 1116). Eines Nachweises seiner Kündigungsberechtigung bedarf der Insolvenzverwalter bei Ausspruch einer Kündigung nicht. § 174 S. 1 BGB gilt nur für rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter. Beruht die Vertretungsmacht nicht auf der Erteilung einer Vollmacht durch den Vertretenen, sondern – wie beim Insolvenzverwalter – auf gesetzlicher Grundlage (§§ 56, 80 Abs. 1 InsO) kann und braucht die Rechtsstellung nicht nachgewiesen werden (BAG v. 20.9.2006, BAGE 119, 311 = NZA 2007, 377; BAG v. 10.2.2005, AP Nr. 18 zu § 174 BGB). Der Insolvenzverwalter braucht der Kündigung daher seine Bestellungsurkunde (§ 56 Abs. 2 InsO) weder im Original noch in Kopie beizufügen. Ebenso wenig ist er gehalten, mit der Kündigung eine Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses (§ 27 Abs. 2 InsO) zu überreichen.
II. Vertretung durch Bevollmächtigte
Rz. 6
Der Vorlage einer (Original-) Vollmacht bedarf es jedoch, wenn der Insolvenzverwalter die Kündigung nicht selbst ausspricht, sondern sich hierbei durch einen Dritten vertreten lässt. Eine Vertretung beim Ausspruch von Kündigungen in der Insolvenz ist durchweg zulässig. Es handelt sich nicht um eine insolvenztypische Rechtshandlung, für die eine Stellvertretung grds. ausgeschlossen ist (BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264 = DB 1989, 485; LAG Kiel v. 14.1.1988, ZIP 1988, 250). Die Vorschriften über Bevollmächtigung und Vertretung (§§ 164 ff. BGB) finden daher uneingeschränkt Anwendung.
Rz. 7
Der Insolvenzverwalter muss somit nicht alle Rechtshandlungen, einschließlich Kündigungen, die nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortgeführten Arbeitsverhältnisse betreffend eigenhändig vornehmen. Gerade bei größeren Firmeninsolvenzen wäre es schon rein praktisch gar nicht durchführbar, dass der Insolvenzverwalter alle Aufgaben in Person wahrnimmt. Führt der Insolvenzverwalter den Betrieb fort und bedient sich dabei in gleicher Weise wie zuvor der Insolvenzschuldner eines Personalleiters, so gelten für das Inkenntnissetzen von der Bevollmächtigung i.S.d. § 174 S. 2 BGB ggü. den Betriebsangehörigen keine Besonderheiten. Nach der Rechtsprechung des BAG liegt ein Inkenntnissetzen i.S.d. § 174 S. 2 BGB vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter – z.B. durch die Bestellung zum Prokuristen, Generalbevollmächtigten oder Leiter der Personalabteilung – in eine Stelle berufen hat, die üblicherweise mit dem Kündigungsrecht verbunden ist (grundlegend BAG v. 30.5.1972, BAGE 24, 273 = NJW 1972, 1877). Im Fall der Handelsregistereintragung, z.B. bei der (erneuten) Bestellung zum Prokuristen, ist eine separate Bekanntmachung ebenfalls nicht notwendig, wenn die Eintragung vom Registergericht bekannt gemacht worden ist (BAG v. 11.7.1991 – 2 AZR 107/91, NZA 1992, 449). Anders ist es, wenn die Funktionsübertragung aufgrund der Stellung des Bevollmächtigten im Betrieb nicht ersichtlich ist und auch keine sonstige Bekanntmachung erfolgt. Dann reicht die bloße Übertragung einer solchen Funktion nicht aus. Vielmehr ist es erforderlich, dass der Erklärungsempfänger davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Erklärende die Stellung tatsächlich innehat (BAG v. 20.9.2006, BAGE 119, 311 = NZA 2007, 377). Erforderlich ist zudem ein zusätzliches Handeln des Vollmachtgebers, aufgrund dessen es vor Zugang der Kündigungserklärung dem Arbeitnehmer möglich ist, ...