A. Verträge mit Grenzgängern
I. Einführung
Rz. 1
Grenzgänger sind Steuerpflichtige, die in der Nähe der Grenze wohnen und diese grds. arbeitstäglich überqueren, um von dem Ansässigkeitsstaat in den Tätigkeitsstaat zu gelangen. Grenzgänger, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und im Ausland tätig sind (sog. Auspendler), sind grds. im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Allein die Tatsache, dass sie ihre Berufstätigkeit im ausländischen Grenzstaat ausüben, führt nicht dazu, dass sie dort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen (BFH v. 5.2.1965, BStBl III 1965, 352; BFH v. 25.1.1989, BStBl II 1990, 687). Umgekehrt haben Grenzgänger aus dem Ausland (sog. Einpendler) i.d.R. keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, sodass sie beschränkt steuerpflichtig sind.
II. Besteuerung des Einpendlers
1. Allgemeines
Rz. 2
Einpendler sind solche Grenzgänger, die im Ausland ansässig und im Inland nicht selbstständig tätig sind. Da diese Einpendler im Inland weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind sie im Inland gem. § 1 Abs. 4 EStG i.V.m. §§ 49 ff. EStG mit ihren Einkünften aus der im Inland ausgeübten Tätigkeit beschränkt steuerpflichtig. Die Besteuerung beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer ist in vielerlei Hinsicht ungünstiger als die Besteuerung unbeschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer. So werden beschränkt Steuerpflichtigen bestimmte Vergünstigungen (z.B. der sog. Splittingtarif, bestimmte Sonderausgaben etc.) nicht gewährt. Diese persönlichen Vergünstigungen können die Einpendler häufig auch nicht in ihrem Ansässigkeitsstaat geltend machen; dies gilt jedenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige neben den Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit keine oder fast keine anderen Einkünfte erzielt.
Rz. 3
Diese Benachteiligung von Einpendlern wird unter bestimmten Voraussetzungen beseitigt. Es ist wie folgt zu unterscheiden:
Rz. 4
Besteht mit dem Ansässigkeitsstaat des Einpendlers ein DBA und enthält dieses DBA eine sog. Grenzgängerregelung entsprechend Art. 15 OECD-MA (z.B. DBA, Frankreich, Österreich und Schweiz), hat der Einpendler die Wahl der Besteuerung nach dieser Grenzgängerregelung (vgl. dazu Rdn 7 ff.) oder – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – eines Antrages gem. § 1 Abs. 3 EStG auf Behandlung als unbeschränkt Steuerpflichtiger (sog. erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht, vgl. dazu Rdn 14 ff.).
Rz. 5
Stellt der Einpendler einen Antrag gem. § 1 Abs. 3 EStG, so ist weiter zu prüfen, ob der Einpendler Angehöriger eines Staates der EU oder des EWR ist. Ggf. richtet sich die Besteuerung des Einpendlers nach den §§ 1a, 46 Abs. 2 Nr. 7a, b EStG (vgl. Rdn 19 ff.).
Rz. 6
Besteht mit dem Ansässigkeitsstaat des Einpendlers kein DBA oder enthält das DBA keine Grenzgängerregelung, so ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 3, 1a EStG vorliegen. Liegen die Voraussetzungen nicht vor oder stellt der Einpendler keinen Antrag gem. § 1 Abs. 3 EStG, richtet sich seine Besteuerung nach den §§ 1 Abs. 4, § 50 Abs. 1 EStG (vgl. dazu Rdn 23 ff.).
2. DBA-Grenzgängerregelung
Rz. 7
Besteht mit dem Ansässigkeitsstaat des Einpendlers ein DBA, das eine sog. Grenzgängerregelung enthält, geht dieses DBA als völkerrechtlicher Vertrag gem. § 2 AO dem innerstaatlichen Steuerrecht vor. Die Regelungen des §§ 1a, 1 Abs. 3 EStG sind dann grds. subsidiär. Deutschland hat zurzeit mit folgenden Staaten Grenzgängerregelungen vereinbart: Frankreich (Art. 13 Abs. 5 DBA F), Österreich (Art. 15 Abs. 6 DBA A) und Schweiz (Art. 15a DBA CH). Besonderheiten bei Grenzpendlern nach Luxemburg sind in der Verständigungsvereinbarung vom 26.5.2011 (KonsVerLUXV vom 9.7.2012, BGBl I, 484) geregelt. Nach der Abschaffung der früheren Grenzgängerregelung mit Belgien hat der Arbeitgeber in Deutschland für den aus Belgien einpendelnden Arbeitnehmer die Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag einzubehalten und an das zuständige Finanzamt abzuführen. Entsprechendes gilt bereits für die Jahre vor 2004, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der Grenzgängerregelung nicht vorliegen, z.B. weil der Arbeitsort außerhalb der deutschen Grenzzone liegt. Zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung wird der in Deutschland steuerpflichtige Arbeitslohn von der belgischen ESt freigestellt. Allerdings dürfen ab 2004 nach Inkrafttreten des Zusatzabkommens die freigestellten Lohneinkünfte bei der Festsetzung der von den belgischen Gemeinden und Agglomerationen erhobenen Zusatzsteuer zur ESt der natürlichen Personen berücksichtigt werden. Zum Ausgleich dieser belgischen Gemeindesteuer wird die deutsche Lohn- bzw. ESt pauschal um 8 % der auf diese Arbeitseinkünfte entfallenden deutschen Steuer gemindert (dies gilt nicht für Geschäftsführer einer deutschen Kapitalgesellschaft). Stellt der Steuerpflichtige allerdings bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG den entsprechenden Antrag auf Besteuerung im Tätigkeitsstaat, gehen die für den Steuerpflichtigen unter Umständen günstigeren Regelungen der §§ 1 Abs. 3, 1a EStG den DBA-Regelungen vor.
a) Grundsatz
Rz. 8
Die in den DBA enthaltenen Grenzgängerregelungen durchb...