Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 55
Nach § 133 Abs. 1 S. 1 InsO sind Rechtshandlungen, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, anfechtbar, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird nach S. 2 vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
Rz. 56
Die Absätze 2 und 3 des § 133 InsO wurden im Zuge der sog. Anfechtungsreform 2017 neu eingefügt mit Wirkung vom 5.4.2017. In Absatz 2 wurde die Anfechtungsfrist auf vier Jahre verkürzt für eine Rechtshandlung des Schuldners, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat (Deckungshandlung i.S.d. §§ 130, 131 InsO).
Nach § 133 Abs. 3 S. 1 InsO greift die Vermutungswirkung des Abs. 1 S. 2 in Fällen kongruenter Deckungen (§ 130 InsO) nur noch bei Kenntnis des anderen Teils von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (anstelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit).
Gemäß § 133 Abs. 3 S. 2 InsO bewirkt der Abschluss von Ratenzahlungsvereinbarungen, Stundungen und anderen Zahlungserleichterungen, dass zugunsten des Gläubigers vermutet wird, dass er die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Hierbei handelt es sich um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung.
Rz. 57
§ 133 Abs. 4 InsO erfasst entgeltliche Verträge, die der Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138 InsO) geschlossen hat und durch die die Gläubiger unmittelbar benachteiligt wurden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen für einen Vertrag, der früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen wurde oder wenn dem Vertragspartner der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht bekannt war.
Rz. 58
§ 133 Abs. 1 bis 3 InsO ermöglicht ausschließlich die Anfechtung von Rechtshandlungen des Schuldners. Darunter sind in der Nachlassinsolvenz sowohl Rechtshandlungen des oder der Erben bzw. eines Nachlasspflegers oder Testamentsvollstreckers als auch solche des Erblassers zu verstehen.
Rz. 59
Die Anfechtung setzt ein willensgeleitetes, verantwortungsgesteuertes Handeln des Schuldners voraus. Dieser muss darüber entscheiden können, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert. Grundsätzlich fehlt es an einer solchen Rechtshandlung des Schuldners, wenn der Gläubiger eine Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt. Mangels Rechtshandlung des Schuldners sind somit Deckungen, die im Wege der Zwangsvollstreckung erwirkt wurden, i.d.R. nicht anfechtbar nach § 133 InsO, wohl aber freiwillige tatsächliche Handlungen des Schuldners, die eine erfolgreiche Zwangsvollstreckung überhaupt erst ermöglicht haben, wie der Hinweis an einen Gläubiger auf die Existenz bislang unbekannten Vermögens oder die bewusste Einziehung von Forderungen auf ein bereits gepfändetes Konto.
Rz. 60
Der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gem. Abs. 1 knüpft an die von ihm vorgenommene, eine Gläubigerbenachteiligung hervorrufende Rechtshandlung an. Spiegelbildlich muss der Anfechtungsgegner erkannt haben, dass die Rechtshandlung des Schuldners dessen Gläubiger benachteiligt und dass der Schuldner dies auch wollte. Der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und seine Kenntnis bei dem Anfechtungsgegner sind mithin auf die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung des Schuldners bezogen. Die Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen dürfen dabei nicht überspannt werden, weshalb es nicht erforderlich ist, dass der Anfechtungsgegner alle Umstände, aus denen sich der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners ergibt, im Einzelnen kennt. Vielmehr reicht es aus, wenn er im Allgemeinen von dem Benachteiligungsvorsatz gewusst hat.
Rz. 61
Kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch, dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzögern. Mithin kennt ein solcher Gläubiger zugleich die Gläubigerbenachteiligung. Kennt der Gläubiger allerdings nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber, fehlt ihm i.d.R. der für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderliche Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners.
Rz. 62
In Bezug auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gem. Abs. 1 ist zu beachten, dass nach allgemeiner Auffassung ein lediglich bedingter Vorsatz genügt. Ein solcher ist regelmäßig gegeben, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als mutmaßliche Folge in Kauf genommen hat.
Rz. 63
Mit Urteil vom 6.5.2021 setzte sich der BGH eingehend mit den subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung auseinander und leitete eine teilweise Änderung seiner früheren Rechtsprechung ein. Die Leitsätze des Urteils lauten:
Zitat
1. |
Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der V... |