Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 190
Der Insolvenzverwalter kann einzelne Gegenstände aus der Insolvenzmasse freigeben, wenn diese nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand für die Masse verwertet werden können oder wenn diese die Masse fortlaufend mit Masseverbindlichkeiten belasten, z.B. eine vom Erblasser angemietete Wohnung, wertloser Hausrat, Fahrzeuge von geringem Wert, ein (landwirtschaftliches) Grundstück in zersplitterter Eigentümer- oder Erbengemeinschaft, von dem nur ein geringer Anteil in die Masse fällt usw.
Rz. 191
Die Möglichkeit der Freigabe im Insolvenzverfahren ergibt sich ausdrücklich aus § 32 Abs. 3 S. 1 InsO (Freigabe eines Grundstücks oder eines Rechtes, bei dem die Eröffnung des Verfahrens eingetragen worden ist) sowie aus § 35 Abs. 2 und 3 InsO (Freigabe bei einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners).
Rz. 192
Es wird zwischen der echten Freigabe und der unechten Freigabe unterschieden. Die echte Freigabe bewirkt die Aufhebung des Insolvenzbeschlags (§ 148 InsO) an dem jeweiligen Gegenstand. An der Zugehörigkeit zum Nachlass ändert sich nichts, sodass bei einer etwaig bestehenden Nachlasspflegschaft oder Testamentsvollstreckung die Herausgabe nicht an den/die Erben, sondern an den Nachlasspfleger bzw. Testamentsvollstrecker zu erfolgen hat.
Unter einer unechten Freigabe wird die Herausgabe eines massefremden Gegenstandes aus der Masse an die aussonderungsberechtigte Person verstanden. Da Gegenstände, die der Aussonderung unterliegen, ohnehin nicht zur Insolvenzmasse zählen, ist die unechte Freigabe lediglich deklaratorischer Natur.
Rz. 193
Mit dem Begriff der "erkauften Freigabe" ist keine Freigabe i.e.S. gemeint, sondern ein voll entgeltlicher Erwerbsvorgang zwischen dem Erben und dem Insolvenzverwalter, bei dem der Erbe einen Gegenstand wie ein Dritter aus der Insolvenzmasse herauskauft. Der Erbe wird in diese Fall Eigentümer der Sache.
Rz. 194
Bei der echten Freigabe unterliegt der freigegebene Gegenstand als sonstiges Vermögen des Schuldners dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO.
Freigegebene Gegenstände unterliegen nicht der Nachtragsverteilung gem. § 203 InsO, ebenso wenig der Veräußerungserlös für einen freigegebenen Gegenstand, der nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verkauft worden ist.
Rz. 195
Nach herrschender Meinung kann der Insolvenzverwalter auch ein mit Altlasten belastetes Grundstück aus der Masse freigeben und die Masse so der öffentlich-rechtlichen Haftung entziehen.
Rz. 196
Gibt der Verwalter ein Grundstück frei, folgt daraus jedoch nicht die Freigabe etwa bestehender Ansprüche auf Rückgewähr nicht valutierter Grundschulden. Ein Grundstückseigentümer, der Sicherungsgrundschulden bestellt, hat aus dem Sicherungsvertrag gegen den Sicherungsnehmer einen durch den Wegfall des Sicherungszwecks aufschiebend bedingten schuldrechtlichen Anspruch auf Abtretung, auf Verzicht oder auf Aufhebung des nicht valutierten Teils der Grundschulden. Dieser schuldrechtliche Anspruch ist Teil der Insolvenzmasse. Der Rückgewähranspruch stellt neben dem Eigentumsrecht einen eigenständigen Vermögenswert dar, sodass eine Freigabe der Immobilie nicht automatisch auch die Rechte aus dem Rückgewähranspruch umfasst. Dies hat zur Folge, dass in einem Zwangsversteigerungsverfahren der Übererlös aus einer Sicherungsgrundschuld der Insolvenzmasse zusteht, jedenfalls dann, wenn weder ein Pfandrecht Dritter an dem Rückgewähranspruch noch ein Anspruch der nachrangigen Grundpfandgläubiger auf Löschung der Grundschuld nach § 1179a BGB besteht.
Rz. 197
Der BGH führte hierzu aus:
Zitat
"Durch die Zuschlagserteilung ist der Versteigerungserlös im Wege gesetzlicher Surrogation an die Stelle des Grundstücks getreten; an ihm setzen sich die nach § 91 ZVG erloschenen Rechte und früheren Rechtsbeziehungen fort. Deswegen haben die Grundpfandgläubiger anstelle des Grundpfandrechts ein Erlöspfandrecht an dem Versteigerungserlös erhalten. Durch den teilweisen Verzicht der Bank auf Zuteilung des Erlöses hat die Schuldnerin als Grundstückseigentümerin entsprechend §§ 1168, 1192 Abs. 1 BGB ein Eigentümererlöspfandrecht erworben. … Das Erlöspfandrecht und der Anspruch auf Auszahlung des Erlösanteils sind keine Surrogate des Rückgewähranspruchs. Nach der Rechtsprechung des Senats wird durch die Pfändung des Rückgewähranspruchs kein Pfandrecht an der Grundschuld selbst begründet. … Die Masse hat mit dem schuldrechtlichen Rückgewähranspruch kein dingliches Recht an der Grundschuld erlangt. Vielmehr ist der schuldrechtliche Rückgewähranspruch der Masse aus der Sicherungsvereinbarung durch den teilweisen Verzicht der Grundpfandgläubigerin auf Erlöszuteilung erloschen (§ 362 Abs. 1BGB). Das Erlöspfandrecht ist nicht an die Stelle des Rückgewähranspruchs getreten. … Auch wenn das Erlöspfandrecht nicht im Wege der Surrogation an die Stelle des Rückgewähranspruchs getreten ist, sind das Eigentümererlöspfandrecht und der Anspruch der Schuldnerin auf Auszahlung des Erlösanteils wirtschaftlich als ...