Rz. 46
Ist eine Ausgleichungsbestimmung nicht ausdrücklich getroffen worden, so bestehen in der Praxis hinsichtlich bestimmter Formulierungen Auslegungsschwierigkeiten. Nach Ansicht der Rechtsprechung kann aus der Formulierung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" der Wille des Erblassers entnommen werden, dass der Zuwendungsempfänger den Wert der Zuwendung später im Erbfall zur Ausgleichung zu bringen hat. In seiner Entscheidung vom 23.9.1981, bei der es um die Frage der objektiven Bereicherung im Rahmen eines Anspruches aus § 2287 BGB ging, hat der BGH ausgeführt, dass die Wendung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" als Ausgleichsanordnung zu verstehen ist. Ebenso hat er in seiner Entscheidung vom 12.10.1988 ausgeführt, das eine Zuwendung im Wege vorweggenommener Erbfolge als auf den Erbteil zugewendet anzusehen ist. Das OLG Hamm folgt in seinem Urt. v. 26.5.1998 dieser Rechtsprechung, wonach eine "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" erfolgte Grundstücksübertragung an einen Schlusserben eine Ausgleichsbestimmung nach §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB darstellt und keine Teilungsanordnung. Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt wurde Grundbesitz an einen zum Schlusserben eingesetzten Abkömmling im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen. Der BGH hat die Revision des unterliegenden Klägers gegen das Urteil mit Beschl. v. 12.5.1999 nicht zur Entscheidung angenommen, wodurch seine Rechtsprechung bestätigt wurde.
Rz. 47
Demgegenüber vertritt das OLG Celle in seinem Urt. v. 3.7.2003 hinsichtlich eines Pflichtteilsanspruchs nach §§ 2050, 2316 BGB die Auffassung, dem Zuwendungsempfänger solle mit dieser Formulierung nur deutlich gemacht werden, dass sich der Zuwendende vorbehalte, die Übertragung bei der späteren Abfassung einer Verfügung von Todes wegen zu berücksichtigen. Nach Auffassung des OLG Celle kann daher allein der Formulierung "im Wege vorweggenommener Erbfolge" nicht unbedingt der Wille des Erblassers entnommen werden, dass die Zuwendung zur Ausgleichung zu bringen ist. Unklar bleibt, inwieweit der Erblasser die Zuwendung bei einer späteren letztwilligen Verfügung berücksichtigen kann. Eine nachträgliche Anrechnungsbestimmung durch letztwillige Verfügung ist grundsätzlich nach derzeitiger Rechtslage nicht möglich. Erfolgt sie dennoch, kann darin lediglich ein Vorausvermächtnis zugunsten der übrigen Miterben gesehen werden, was jedoch keine Auswirkungen auf mögliche Pflichtteilsansprüche hat. Das OLG Stuttgart führt in seiner viel zitierten Entscheidung vom 4.5.1977 lediglich aus, dass der Begriff "vorweggenommene Erbfolge" nicht unbedingt auf den Willen des Erblassers schließen lasse, eine Ausgleichungsbestimmung anzuordnen.
Rz. 48
Nach neuerer Rechtsprechung des BGH ist dann, wenn eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich" erfolgt, für die Pflichtteilsberechnung im Auslegungsweg zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ Ausgleichung und Anrechnung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte. Die Ermittlung des Erblasserwillens erfordert eine Gesamtbewertung aller relevanten Umstände, wobei insbesondere auch die zeitlichen Zusammenhänge zwischen Zuwendung und Testamentserrichtung, der Vermögensgegenstand und seine wirtschaftliche Nutzbarkeit durch den Empfänger vor dem Erbfall sowie die Größenordnung der vorgezogenen Vermögenszuwendung zu berücksichtigen sind. Ebenso können Vorstellungen des Erblassers über eine gleichmäßige Behandlung von Abkömmlingen eine Rolle spielen, wobei zu beachten ist, dass ein solcher Erblasserwille bei der Berechnung des Ausgleichspflichtteils i.S.v. § 2316 Abs. 1 BGB an Grenzen stößt, weil enterbte Vorempfänger rechnerisch mit der Hälfte des Vorempfangs begünstigt bleiben, was einer etwa beabsichtigten völligen Gleichstellung entgegensteht.
Rz. 49
Die steuerliche Rechtsprechung tendiert zu der vom BGH verfolgten Betrachtungsweise. Die h.M. im Schrifttum schließt sich der Ansicht des BGH an, dass bei einer Übertragung des Erblassers an zu Schlusserben eingesetzte Abkömmlinge eine Ausgleichungsanordnung bestimmt wurde, wenn die Übertragung in Vorwegnahme der künftigen Erbfolge erfolgte. Insoweit führt auch Thubauville aus, dass der Formulierung "im Wege vorweggenommener Erbfolge" i.d.R. auch zugleich der Wille des Erblassers zu entnehmen ist, den pflichtteilsberechtigten Zuwendungsempfänger (Abkömmling) zwar zeitlich, nicht aber wertmäßig zu bevorzugen. Bothe weist darauf hin, dass eine solche Anordnung im Hinblick auf eine gerechte Verteilung als üblich anzusehen ist. Weimar vertritt hingegen die Auffassung, dass die Verwendung des Begriffs "vorweggenommene Erbfolge" lediglich die Motivlage des Übergebers kennzeichnet.
Rz. 50
Wird zu Lebzeiten Vermögen "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" übertragen, so wird hiermit dem Wortlaut nach regelmäßig eine Ausgleichung...