Rz. 46
Ist eine Ausgleichungsbestimmung nicht ausdrücklich getroffen worden, so bestehen in der Praxis hinsichtlich bestimmter Formulierungen Auslegungsschwierigkeiten. Wird zu Lebzeiten Vermögen "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" übertragen, so wird hiermit dem Wortlaut nach regelmäßig eine Ausgleichungsverpflichtung des Zuwendungsempfängers verbunden sein. Der Zuwendungsempfänger erhält als künftiger Erbe bereits zu Lebzeiten Gegenstände bzw. Werte aus dem Vermögen des Erblassers, die er sonst erst im Erbfall erworben hätte. Da die Verwendung des Begriffs früher aus steuerlichen Gesichtspunkten seine Notwendigkeit hatte, ist bei der Auslegung des Begriffs aber auch die Form der Darstellung zu berücksichtigen. Wird der Begriff nur zur reinen Vertragsbezeichnung verwendet, aber in den einzelnen konkreten Vereinbarungen hierauf kein Bezug genommen, so wird man hierin keine Ausgleichungsbestimmung sehen können, da ein konkreter Vertragstypus, der eine Ausgleichung im Erbfall mit sich bringt, nicht existiert. Wird hingegen in den einzelnen Vertragsklauseln und Bedingungen die Bestimmung getroffen, dass die Übertragung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" erfolgen soll und erfolgt dies mit rechtsgeschäftlichem Willen, so ist diese Formulierung dem Wortlaut und der Form nach als Ausgleichungsbestimmung i.S.v. § 2050 Abs. 3 BGB zu qualifizieren.
Rz. 47
Aus der Formulierung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" kann nach der Rechtsprechung der Wille des Erblassers entnommen werden, dass der Zuwendungsempfänger den Wert der Zuwendung später im Erbfall zur Ausgleichung zu bringen hat. In seiner Entscheidung vom 23.9.1981, bei der es um die Frage der objektiven Bereicherung im Rahmen eines Anspruches aus § 2287 BGB ging, hat der BGH ausgeführt, dass die Wendung "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" als Ausgleichsanordnung zu verstehen ist. Ebenso hat er in seiner Entscheidung vom 12.10.1988 ausgeführt, dass eine Zuwendung im Wege vorweggenommener Erbfolge als auf den Erbteil zugewendet anzusehen ist. Das OLG Hamm folgt in seinem Urt. v. 26.5.1998 dieser Rechtsprechung, wonach eine "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge" erfolgte Grundstücksübertragung an einen Schlusserben eine Ausgleichsbestimmung nach §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB darstellt und keine Teilungsanordnung. Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt wurde Grundbesitz an einen zum Schlusserben eingesetzten Abkömmling im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen. Der BGH hat die Revision des unterliegenden Klägers gegen das Urteil mit Beschl. v. 12.5.1999 nicht zur Entscheidung angenommen, wodurch seine Rechtsprechung bestätigt wurde.
Rz. 48
Wenn eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich" erfolgt, ist für die Pflichtteilsberechnung im Auslegungsweg zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ Ausgleichung und Anrechnung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte. Die Ermittlung des Erblasserwillens erfordert eine Gesamtbewertung aller relevanten Umstände, wobei insbesondere auch die zeitlichen Zusammenhänge zwischen Zuwendung und Testamentserrichtung, der Vermögensgegenstand und seine wirtschaftliche Nutzbarkeit durch den Empfänger vor dem Erbfall sowie die Größenordnung der vorgezogenen Vermögenszuwendung zu berücksichtigen sind. Ebenso können Vorstellungen des Erblassers über eine gleichmäßige Behandlung von Abkömmlingen eine Rolle spielen, wobei zu beachten ist, dass ein solcher Erblasserwille bei der Berechnung des Ausgleichspflichtteils i.S.v. § 2316 Abs. 1 BGB an Grenzen stößt, weil enterbte Vorempfänger rechnerisch mit der Hälfte des Vorempfangs begünstigt bleiben, was einer etwa beabsichtigten völligen Gleichstellung entgegensteht.
Rz. 49
Beweispflichtig für eine Ausgleichsanordnung ist immer derjenige, der Rechte daraus herleitet.