Prof. Dr. Christian Döring, Dr. Mario Leggio
Rz. 15
Nach Übergabe oder Ablieferung der vom Verkäufer gelieferten Baustoffe und Bauteile – hierbei handelt es sich um sämtliche Sachen, die zur Herstellung von Bauwerken benötigt und üblicherweise verwendet werden, wie z.B. Beton, Steine, Zement, Hölzer, Eisen, Sande, somit die "klassischen" Baumaterialien, aber auch Bauteile wie Fenster, Türen, Lichtschächte, Fertigtreppen, Sanitärgegenstände sowie die einzelnen Anlagenkomponenten etwa der Haustechnik (vgl. § 438 Abs. 1 Nr. 2b BGB) – gilt das kaufvertragliche Mängelrecht. Die gelieferten Sachen müssen zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs frei von Sach- und Rechtsmängeln sein. Die Kriterien zur Beurteilung der Sachmangelfreiheit beschreibt § 434 BGB, der auch unmittelbar beim Handelskauf, ergänzt um die Rügepflicht gem. § 377 HGB, Anwendung findet.
Rz. 16
Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass § 434 BGB in seiner ab dem 1.1.2022 geltenden Fassung im Vergleich zu § 434 BGB a.F. deutlich ausdifferenziertere Regelungen enthält. Der Mangelbegriff ist daher präziser und detaillierter ausgestaltet als bislang; zu einer inhaltlichen Änderung dergestalt, dass der Mangelbegriff durch die Neuregelung gegenüber der bisherigen Rechtslage erweitert worden wäre, ist es jedoch nicht gekommen. Eine signifikante Verschiebung hat sich im Zuge der Neufassung von § 434 Abs. 1 BGB allerdings in hierarchischer Hinsicht ergeben. Primärer Anknüpfungspunkt für die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt, war bislang die vereinbarte Beschaffenheit, sodass der Mangelbegriff im Ausgangspunkt subjektiv determiniert war; hatten die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, kam es in deren Anwendungsbereich auf sonstige – mithin objektive – Kriterien grundsätzlich nicht mehr an. Hierbei handelte es sich um ein Charakteristikum des oben in Rdn 13 zur alten Rechtslage dargestellten Stufenverhältnisses. Ein derartiges Stufenverhältnis liegt § 434 BGB in der seit dem 1.1.2022 geltenden Fassung nicht mehr zugrunde. Er bestimmt in seinem Abs. 1 vielmehr, dass die Sache frei von Sachmängeln ist, wenn sie bei Gefahrübergang (erstens) den subjektiven Anforderungen, (zweitens) den objektiven Anforderungen und (drittens) den Montageanforderungen entspricht. Die Absätze 2, 3 und 4 des § 434 BGB gestalten die in Abs. 1 BGB genannten Anforderungen näher aus, wobei Abs. 2 die subjektiven Anforderungen, Abs. 3 die objektiven Anforderungen und Abs. 4 die Montageanforderungen zum Gegenstand hat. In § 434 Abs. 5 BGB ist die von § 434 Abs. 3 BGB a.F. her bereits bekannte Aliud-Lieferung geregelt, die – nicht anders als bisher – einem Sachmangel gleichgestellt wird. Während die Aliud-Lieferung und die Lieferung einer Mindermenge nach der bis zum 31.12.2021 geltenden Rechtslage einheitlich in § 434 Abs. 3 BGB a.F. geregelt waren, ist die Lieferung einer Mindermenge nunmehr systematisch (insoweit als Bestandteil der subjektiven Anforderungen) in § 434 Abs. 2 BGB wie auch (insoweit als Bestandteil der objektiven Anforderungen) in § 434 Abs. 3 BGB verortet.
Rz. 17
Der in § 434 Abs. 1 BGB normierte Gleichrang der Anforderungen stellt kein absolutes Prinzip dar. Wie sich aus § 434 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 BGB ergibt ("Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde"), sind im Ausgangspunkt durchaus Parteivereinbarungen möglich, die die Frage der Mangelhaftigkeit von der Erfüllung der objektiven Anforderungen lösen können, sodass auf diesem Weg der subjektive Fehlerbegriff seine dominierende Bedeutung (zurück-)gewinnen kann. Im Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufs gilt das allerdings nicht bzw. jedenfalls nur sehr eingeschränkt; § 476 Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt nämlich, dass von den (objektiven) Anforderungen nach § 434 Abs. 3 BGB nur unter den in der Norm genannten (engen) Voraussetzungen abgewichen werden kann. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über den Verbrauchsgüterkauf – also bei Verträgen, bei denen entweder auf beiden Seiten jeweils Verbraucher (B2B) bzw. jeweils Unternehmer (C2C) stehen oder bei denen ein Verbraucher gegenüber einem Unternehmer als Verkäufer auftritt – sind die Parteien damit nach wie vor frei darin, sich auf eine Beschaffenheit der Kaufsache zu verständigen, die von den sich aus § 434 Abs. 2 BGB ergebenden objektiven Anforderungen abweicht.
Rz. 18
Die gekaufte Sache entspricht nach § 434 Abs. 2 S. 1 BGB den subjektiven Anforderungen, wenn sie (Nr. 1) die vereinbarte Beschaffenheit hat, (Nr. 2) sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und (Nr. 3) mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird. § 434 Abs. 2 S. 1 BGB benennt Kriterien, die zu der nach § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB maßgeblichen Beschaffenheit gehören, und stellt in diesem Zusammenhang ab auf Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben. Da der Wortlaut ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, ...