Rz. 11
Wird die Vorsorgevollmacht durch Aufnahme der Erklärungen des Vollmachtgebers in einer Niederschrift beurkundet (§§ 6 ff. BeurkG), hat der Notar die erforderliche Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers zu prüfen (§ 11 BeurkG, § 17 BeurkG). Fehlt dem Vollmachtgeber nach der Überzeugung des Notars die erforderliche Geschäftsfähigkeit (siehe dazu § 1 Rdn 15 ff.), so soll der Notar die Beurkundung ablehnen (§ 11 Abs. 1 S. 1 BeurkG). Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit soll der Notar in der Niederschrift feststellen (§ 11 Abs. 1 S. 2 BeurkG). Ist der Vollmachtgeber schwer krank, so soll der Notar dies in der Niederschrift vermerken und – zur Beweissicherung – angeben, welche Feststellungen er über die Geschäftsfähigkeit getroffen hat (§ 11 Abs. 2 BeurkG).
Rz. 12
Entsprechend dem Grundsatz gegebener Geschäftsfähigkeit darf und muss der Notar grundsätzlich von der erforderlichen Geschäftsfähigkeit eines volljährigen Vollmachtgebers ausgehen (siehe zur erforderlichen Geschäftsfähigkeit § 1 Rdn 15 ff.; § 11 Abs. 1 BeurkG). Der Notar braucht nicht ohne Anlass zu ermitteln, ob Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers vorliegen; er muss auch nicht nach möglichen Anhaltspunkten – z.B. nach einer Betreuerbestellung – fragen. Die Bestellung eines Betreuers hat – solange kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist (§ 1825 BGB; § 1903 BGB a.F.) – rechtlich keine Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers. Auch für Betreute gilt der Grundsatz der Geschäftsfähigkeit. Dennoch kann die Bestellung eines Betreuers dem Notar Anlass zu Ermittlungen geben, bspw. durch Einsicht in die Betreuungsakten (§§ 14 Abs. 2 und 4 FamFG); i.d.R. dürfte es dann ausreichen, wenn sich der Notar den Betreuungsbeschluss und insbes. das ärztliche Gutachten (§ 280 FamFG) übersenden lässt.
Rz. 13
Hinweis: Keine besondere Ermittlungspflicht bei Anwalts- und Notarkanzlei
Dass die Kanzlei eines Anwaltsnotars mit einer anderen Sache des Geschäftsunfähigen – durch einen anderen Sachbearbeiter als den (Anwalts-)Notar – befasst war, führt nicht dazu, dass dem Notar ein laufendes Betreuungsverfahren oder eine Betreuung hätte bekannt sein müssen.
Rz. 14
Weitere Anhaltspunkte – neben der Bestellung eines Betreuers – können die Heimunterbringung, die Einschaltung eines ambulanten Pflegedienstes, der vereinbarte Außentermin, das Ausgehen der Initiative von einem Dritten und auch ein besonders hohes Lebensalter sein. Nicht zuletzt auch wegen § 11 Abs. 2 BeurkG kann eine Erkrankung Anlass zu (weiteren) Ermittlungen geben, insbes. bei Bettlägerigkeit oder Aufenthalt im Krankenhaus.
Rz. 15
Hinweis: Anknüpfungspunkt für Ermittlungen zur Geschäftsfähigkeit
Das OLG Celle sah – in einem notariellen Disziplinarverfahren – "besonderen" Anlass zu weiteren Ermittlungen aufgrund der erheblichen wirtschaftlichen Tragweite mit atypischer Personenkonstellation (Vermögen > 1 Mio. EUR; Bevollmächtigung einer familienfremden Haushaltshilfe/Pflegeperson). Eine "erhebliche wirtschaftliche Tragweite" ist jeder Vorsorgevollmacht als Generalvollmacht immanent; wenn die wirtschaftliche Tragweite schon besonderen Anlass zu weiteren Ermittlungen geben soll, dann wären bei jeder Vorsorgevollmacht weitere Ermittlungen veranlasst. Das OLG Celle hat wohl mehr auf die Höhe des Vermögens abgestellt, die allerdings keinen Aussagewert für oder gegen die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers hat. Auch eine "atypische Familienkonstellation" hat – für sich gesehen oder auch in Kombination mit einem hohen Vermögen – keinen entsprechenden Aussagewert zur Frage der für die Geschäftsfähigkeit maßgebliche Freiheit der Willensbildung, der Einsichts- und Handlungsfähigkeit (siehe § 1 Rdn 15 ff.). Richtiger Anknüpfungspunkt für Anlass zu Ermittlungen war die Person des Bevollmächtigten, aber nicht, weil sie familienfremd etc. war, sondern weil von ihr die Initiative ausging (Initiative von einem Dritten, siehe Rdn 14).
Rz. 16
Der interdisziplinäre Vorschlag, dass der Notar bei der Prüfung der Geschäftsfähigkeit bestimmte, in der Medizin und Psychologie entwickelte Screeningverfahren (Kurztests wie z.B. den Mini-Mental-Status-Test, MMSE) verwendet, wird von ärztlicher und juristischer Seite abgelehnt. Wobei einzuräumen ist, dass ein Screeningverfahren geeignet ist festzustellen, ob Anzeichen vorliegen, die auf eine Geschäftsunfähigkeit hindeuten.
Rz. 17
In erkennbaren Grenzfällen sollte der Notar eine zur Erteilung der Vollmacht zeitnahe Begutachtung durch einen Facharzt, i.d.R. einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ggf. einen Neurologen, anregen; ggf. ist zum Schutz des Rechtsverkehrs – auch und insbes. im Interesse des Vollmachtgebers – zumindest für bestimmte – besonders wichtige – Bereiche die Bestellung eines Betreuers anzuregen (siehe § 1 Rdn 23).
Rz. 18
Bei Verfügungen von Todes wegen soll der Notar seine Wahrnehmungen über die erforderliche Geschäftsfähigkeit des Erblassers in der Nieder...