Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 70
Die Anordnung der Vorerbschaft führt dazu, dass sich bei dem als Vorerbe bestimmten Erben zwei verschiedene Vermögensgruppen bilden. Zum einen das Eigenvermögen des Vorerben und zum anderen das ererbte Vorerbenvermögen als Sondervermögen. Mit Eintritt des Nacherbfalls ist das Sondervermögen an den oder die Nacherben herauszugeben. Tritt der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben ein (vgl. § 2106 Abs. 1 BGB), so vererbt sich das Eigenvermögen des Vorerben an die von ihm benannten Bedachten, während das Sondervermögen an die Nacherben fließt.
Rz. 71
Durch die Trennung des Vorerbenvermögens vom Eigenvermögen bietet sich die Vor- und Nacherbschaft zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen naher Verwandter an. Haben Eheleute z.B. Kinder aus erster Ehe und will der jeweilige Ehepartner nicht, dass die Kinder des anderen Ehepartners an seinem Nachlass partizipieren, dann können sie anordnen, dass sich die Eheleute jeweils nur zu Vorerben und die Kinder aus der vorangegangenen Ehe als Nacherben einsetzen. Dies gilt gewissermaßen auch für die Pflichtteilsansprüche gemeinsamer Kinder.
Rz. 72
Darüber hinaus kann durch das Institut der Vor- und Nacherbschaft der Nachlass für eine gewisse Dauer einem Vorerben und dann dem eigentlichen Bedachten zugewandt werden, was sich insbesondere dann anbietet, wenn es darum geht, bestimmte Zeiträume zu überbrücken (z.B. weil die Kinder noch minderjährig sind). Gleichfalls dient die Einsetzung eines Nacherben auch dem Schutz vor dem Zugriff von Gläubigern des Vorerben, da diesem zwar grundsätzlich die Nutzungen, nicht aber die Substanz zustehen.
Rz. 73
Der Nachteil der Vor- und Nacherbschaft ist ihre rechtliche Kompliziertheit, insbesondere aufgrund der diversen Beschränkungen, denen der Vorerbe unterliegt, so dass Konflikte und Streitigkeiten unter den Erben "vorprogrammiert" sind. Auch aus erbschaftsteuerlicher Sicht kann die Vor- und Nacherbschaft Nachteile mit sich bringen, da sie zu zwei Besteuerungsvorgängen führt, § 6 ErbStG.
Der Schwierigkeit einer Abgrenzung zwischen Vollerbschaft und Vorerbschaft bzw. zwischen Vorerbschaft und Nießbrauch ist durch eine exakte testamentarische Formulierung Rechnung zu tragen. Die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB lässt erkennen, dass das Gesetz eine Vor- und Nacherbschaft möglichst vermeiden will.
Rz. 74
Grundsätzlich können ein oder mehrere Vorerben benannt werden. Letzteres führt zur Entstehung einer sog. Vorerbengemeinschaft. Diese kann sich als Miterbengemeinschaft jederzeit gemäß § 2042 BGB auseinandersetzen. Einer Mitwirkung des Nacherben bedarf es hierfür nur, wenn zum Vollzug der Auseinandersetzung Verfügungen notwendig sind, die unter die §§ 2113 Abs. 1, 2114 BGB fallen. Der Nacherbe hat aber nicht die Möglichkeit, die Auseinandersetzung der Vorerbengemeinschaft zu verhindern. Er ist grds. zur Zustimmung hinsichtlich der Erbauseinandersetzung der Vorerbengemeinschaft verpflichtet.
Hinweis
Anders als bei einzelnen Nachlassgegenständen kann innerhalb einer Erbengemeinschaft der eine Miterbe als Vollerbe, der andere nur als Vorerbe bestimmt werden.
Zu den Auskunftspflichten bei Vor- und Nacherbschaft vgl. Sarres, ZEV 2004, 56.
Rz. 75
Formulierungsbeispiel: Vor- und Nacherbschaft
Ich setze meine Ehefrau (...) zu meiner alleinigen Erbin meines gesamten Vermögens ein. Meine Ehefrau ist jedoch nur Vorerbin. Von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB ist sie nicht befreit. Ein Ersatzvorerbe wird nicht bestimmt, es gilt die Vorschrift des § 2102 Abs. 1 BGB.
Zu Nacherben bestimme ich meine Kinder (...) und (...) zu jeweils gleichen Teilen, ersatzweise deren jeweilige Abkömmlinge nach den Regeln gesetzlicher Erbfolge. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod der Vorerbin ein.
Das Nacherbenanwartschaftsrecht ist weder vererblich noch übertragbar.
Praxishinweis
Vgl. zur Frage der Sittenwidrigkeit, wenn der Erblasser den Eintritt des Nacherbfalls davon abhängig macht, ob die Vorerbin ihren Lebensgefährten mit ins Haus aufnimmt, BayObLG ZErb 2001, 65.