Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 192
Eine besondere gesetzliche Regelung für einen Nießbrauch an einem Unternehmen fehlt. In § 22 HGB wird seine Zulässigkeit aber vorausgesetzt. Zu klären ist mit dem Erblasser zunächst, was im Einzelnen gewollt ist. Denkbar wäre ein Unternehmensnießbrauch, bei dem der Nießbraucher als Unternehmer auftritt oder ein Ertragsnießbrauch, bei dem der Nießbrauchbesteller selbst Inhaber des Unternehmens bleibt, während der Gewinn ganz oder zum Teil an den Nießbraucher auszukehren ist.
Rz. 193
Welchen Rechtscharakter der Nießbrauch an einem Unternehmen hat, ist streitig. Nach heute herrschender Meinung bedarf es zwar zur Begründung des Nießbrauchs am Unternehmen wegen des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes der Einräumung des Nießbrauchs an den zum Unternehmen gehörenden Sachen und Rechten durch konkreten Einzelbestellungsakt. Trotzdem entsteht darüber hinaus ein dinglich wirkender Nießbrauch am Unternehmen als Ganzes, sodass davon auch der Goodwill (z.B. Kundenbeziehungen, Know-how) erfasst ist.
(a) Rechtsstellung des Unternehmers
Rz. 194
Der Rechtsberater hat bei der Testamentsgestaltung zu klären, ob der Nießbraucher selbst die rechtliche Stellung des Unternehmers einnehmen soll oder ob dem Nießbraucher nur die Erträge des Unternehmens zufließen sollen. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass der eigentliche Unternehmensnießbrauch die Unternehmereigenschaft des Nießbrauchers selbst bedeutet.
Beim "Ertragsnießbrauch" verbleibt die Unternehmerstellung beim Nießbrauchsbesteller; in der Praxis wird häufig in solchen Fällen nur eine Quote des Ertrags dem Begünstigten zugewandt. Ein eigentliches Nießbrauchsrecht beinhaltet diese Konstruktion nicht.
(b) Rechtswirkungen
Rz. 195
Da der Nießbrauch an einem Unternehmen gleichzeitig ein Nießbrauch an den dazugehörenden Sachen und Rechten ist, gelten die Vorschriften der §§ 1030 bis 1084 BGB. Sollte das Unternehmen jedoch das gesamte Vermögen des Nießbrauchsbestellers darstellen, so wären auch die Vorschriften über den Vermögensnießbrauch anzuwenden (§§ 1085 bis 1089 BGB).
(aa) Umlaufvermögen des Unternehmens
Rz. 196
Das Umlaufvermögen (§ 266 Abs. 2 HGB) stellt u.a. auch verbrauchbare Sachen im Sinne des § 1067 BGB dar. Deshalb werden die verbrauchbaren Sachen nach dieser Vorschrift Eigentum des Nießbrauchers. Verbunden damit ist das Verfügungsrecht des Nießbrauchers.
(bb) Anlagevermögen
Rz. 197
Im Umkehrschluss zu § 1067 BGB verbleibt das Anlagevermögen im Eigentum des Nießbrauchsbestellers. Der Nießbraucher kann über die Gegenstände des Anlagevermögens dennoch im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verfügen. Er ist jedoch gemäß § 1041 BGB verpflichtet, Erlöse aus dem Verkauf von Anlagevermögen in angemessener Zeit wieder in das Unternehmen zu investieren (z.B. auch durch Tilgung von Unternehmensverbindlichkeiten). Hierbei steht ihm ein wirtschaftlicher Ermessensspielraum zu. Denkbar wäre es auch, dem Nießbraucher insofern durch den Erblasser eine Vollmacht erteilen zu lassen.
(cc) Fortführung des Unternehmens
Rz. 198
Da der Nießbraucher verpflichtet ist, die nießbrauchsbelastete Sache in ihrem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten, ist er auch verpflichtet, das Unternehmen fortlaufend zu betreiben. Es ist ihm auch nicht gestattet, den Betrieb wesentlich umzugestalten oder zu verändern.
(dd) Fortführung der Firma
Rz. 199
Der Nießbraucher kann gemäß § 22 Abs. 2 HGB die Firma fortführen, wenn der Nießbrauchsbesteller darin einwilligt. Aus § 1041 BGB kann sich eine Verpflichtung zur Einwilligung in die Fortführung der Firma ergeben.
(ee) Haftung für Geschäftsschulden
Rz. 200
Führt der Nießbraucher das Geschäft unter der bisherigen Firma weiter, so haftet er für die bereits bestehenden Geschäftsverbindlichkeiten persönlich mit seinem gesamten Vermögen nach § 25 HGB. Für neu eingegangene Geschäftsverbindlichkeiten haftet der Nießbraucher ohnehin kraft Rechtsgeschäfts. Er wird deshalb auch in das Handelsregister eingetragen, § 22 Abs. 2 HGB. Fraglich ist jedoch, ob der Nießbrauchsbesteller solche Verbindlichkeiten bei Nießbrauchsbeendigung zu übernehmen hat und ob ihn insofern eine Haftung nach § 25 HGB trifft. Diese Frage dürfte zu bejahen sein.
(ff) Gewinnermittlung
Rz. 201
Dem Nießbraucher steht der Reingewinn zu, der nach Abzug aller zur Erhaltung des Unternehmens notwendigen Aufwendungen verbleibt. Betriebswirtschaftlich gebotene Abschreibungen und Rückstellungen sind gewinnmindernd zu berücksichtigen. Im Einzelnen ist allerdings fraglich, welche Aufwendungen abzuziehen sind. Wenn der Erblasser sich zu einem Unternehmensnießbrauch entschließt, sollten deshalb, um Streitigkeiten vorzubeugen, Regeln über die Ermittlung des Reingewinns in das Testament mit aufgenommen werden.