Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
I. Allgemeines
Rz. 320
Die Frage nach der richtigen Gestaltung einer Verfügung von Todes wegen für den Fall des Vorhandenseins behinderter Kinder wird in zunehmendem Maße aktuell. Die fortwährend sich leerenden öffentlichen Kassen, gerade im Bereich der Sozialhilfe, wie auch andererseits die nicht unbeträchtlichen Vermögensmassen, die derzeit zur Vererbung in die nächste Generation anstehen, lassen dieses Thema immer brisanter werden.
Rz. 321
Im Sozialrecht gilt der sog. Nachranggrundsatz. Sozialhilfe erhält nur, wer sich nicht selbst helfen kann und auch nicht die erforderliche Hilfe von anderen erhält, § 2 Abs. 1 SGB XII. Selbst helfen kann sich, wer über verwertbares Einkommen gemäß § 82 SGB XII oder über einzusetzendes Vermögen gemäß § 90 SGB XII verfügt. Die sozialrechtlich Einordnung als Einkommen oder Vermögen richtet sich danach, ob der Erwerb vor (Vermögen) oder während (Einkommen) des Bedarfszeitraums erfolgt. Eine Erbschaft ist daher grundsätzlich als Einkommen anzusehen, wenn der Erwerb während des laufenden Leistungsbezuges erfolgt.
Als mögliche Sozialleistungen kommen Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII), Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) sowie ergänzend Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) in Betracht.
Rz. 322
Dem Sozialhilfeträger stehen zur Verwirklichung des Nachranggrundsatzes im Wesentlichen vier Möglichkeiten zur Verfügung:
▪ |
bei Fehlen der Bedürftigkeit kann er die Hilfe verweigern bzw. bei deren Fortfall einstellen; |
▪ |
er ist berechtigt, im Rahmen des § 93 Abs. 1 SGB XII Ansprüche des Leistungsberechtigten gegen Dritte auf sich überzuleiten; |
▪ |
gem. § 102 SGB XII kann er Kostenersatz für die in den zehn Jahren vor dem Erbfall geleitstete Sozialhilfe von dem Erben des Hilfeempfängers verlangen; |
▪ |
gem. § 103 SGB XII besteht darüber hinaus die Möglichkeit, Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten zu verlangen. Bei behinderten Menschen kommt dieser Vorschrift in der Praxis jedoch so gut wie keine Bedeutung zu. |
II. Die Art der Gestaltung und die Frage der Sittenwidrigkeit
Rz. 323
Die Gestaltung eines sogenannten Behindertentestaments sieht regelmäßig so aus, dass der Erblasser das behinderte Kind als Vorerbe auf einen Erbteil einsetzt, der höher als sein Pflichtteil ist, und ein gesundes Kind bzw. einen Abkömmling dieses Kindes als Nacherben bestimmt. Gleichzeitig wird für den Vorerben eine Dauertestamentsvollstreckung auf Lebzeiten angeordnet mit der Maßgabe, dem Vorerben bestimmte Nutzungen zukommen zu lassen. Bei den Nutzungen sollte es sich um Erträgnisse handeln, die die Lebensqualität des Kindes verbessern, jedoch dessen Anspruch auf Sozialleistungen weder ausschließen noch verringern. Dabei bieten sich vor allem Sachleistungen an.
Rz. 324
Mit der Anordnung der Nacherbschaft wird bezweckt, das elterliche Vermögen nicht in den Nachlass des behinderten Abkömmlings fallen zu lassen, so dass es auch nicht nach § 102 SGB XII für die Kosten des Sozialhilfeträgers herangezogen werden kann. Da bei einer Vorerbschaft in der Regel die Nutzungen des Erbteils dem Erben zustehen und demnach einem Zugriff der Gläubiger ausgesetzt sind, ist die Vorerbschaft einschließlich der Nutzungen der Testamentsvollstreckung (§§ 2209, 2210 BGB) zu unterwerfen. Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, können sich nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten, § 2214 BGB.
Nach vorzugswürdiger Ansicht sollte das behinderte Kind von den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB nicht befreit werden. Nur auf diese Weise lässt sich sicher ausschließen, dass der Testamentsvollstrecker verpflichtet ist, dem Erben das für dessen angemessenen Unterhalt Erforderliche auszukehren und dabei auch auf die Nachlasssubstanz zuzugreifen.
Rz. 325
Der BGH hat diese kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung in seiner Entscheidung vom 19.1.2011 als grundsätzlich nicht sittenwidrig angesehen. Eine derartige Testamentsgestaltung sei vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus.
Rz. 326
Neben dieser "klassischen" Gestaltungsvariante sollte aber immer überlegt werden, wie dem behinderten Bedachten auf andere Weise Vor...