Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 323
Die Gestaltung eines sogenannten Behindertentestaments sieht regelmäßig so aus, dass der Erblasser das behinderte Kind als Vorerbe auf einen Erbteil einsetzt, der höher als sein Pflichtteil ist, und ein gesundes Kind bzw. einen Abkömmling dieses Kindes als Nacherben bestimmt. Gleichzeitig wird für den Vorerben eine Dauertestamentsvollstreckung auf Lebzeiten angeordnet mit der Maßgabe, dem Vorerben bestimmte Nutzungen zukommen zu lassen. Bei den Nutzungen sollte es sich um Erträgnisse handeln, die die Lebensqualität des Kindes verbessern, jedoch dessen Anspruch auf Sozialleistungen weder ausschließen noch verringern. Dabei bieten sich vor allem Sachleistungen an.
Rz. 324
Mit der Anordnung der Nacherbschaft wird bezweckt, das elterliche Vermögen nicht in den Nachlass des behinderten Abkömmlings fallen zu lassen, so dass es auch nicht nach § 102 SGB XII für die Kosten des Sozialhilfeträgers herangezogen werden kann. Da bei einer Vorerbschaft in der Regel die Nutzungen des Erbteils dem Erben zustehen und demnach einem Zugriff der Gläubiger ausgesetzt sind, ist die Vorerbschaft einschließlich der Nutzungen der Testamentsvollstreckung (§§ 2209, 2210 BGB) zu unterwerfen. Gläubiger des Erben, die nicht zu den Nachlassgläubigern gehören, können sich nicht an die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstände halten, § 2214 BGB.
Nach vorzugswürdiger Ansicht sollte das behinderte Kind von den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB nicht befreit werden. Nur auf diese Weise lässt sich sicher ausschließen, dass der Testamentsvollstrecker verpflichtet ist, dem Erben das für dessen angemessenen Unterhalt Erforderliche auszukehren und dabei auch auf die Nachlasssubstanz zuzugreifen.
Rz. 325
Der BGH hat diese kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung in seiner Entscheidung vom 19.1.2011 als grundsätzlich nicht sittenwidrig angesehen. Eine derartige Testamentsgestaltung sei vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus.
Rz. 326
Neben dieser "klassischen" Gestaltungsvariante sollte aber immer überlegt werden, wie dem behinderten Bedachten auf andere Weise Vorteile zugewendet werden können, zumal sich in Zeiten niedriger Zinsen die mit dem Behindertentestament erstrebten Vorteile oft nur schwer umsetzen lassen.
In vorgenannter Entscheidung vom 19.1.2011 hat der BGH entschieden, dass der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Beziehers von Sozialleistungen grundsätzlich nicht sittenwidrig ist. Dabei stützt sich der BGH nicht zuletzt auf die verfassungsrechtliche Figur der negativen Erbfreiheit als Gegenstück der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Für die Praxis bedeutet dies, dass regelmäßig zusätzlich zur Errichtung eines Testamentes der Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrages zu erwägen ist, um einen Pflichtteilsanspruch gar nicht erst entstehen zu lassen. Voraussetzung eines Pflichtteilsverzichtsvertrages ist jedoch stets die Geschäftsfähigkeit des behinderten Kindes.