Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 331
Auch die Verlegung des statutarischen Sitzes oder bzw. und der Geschäftsleitung (Verwaltungssitzes) einer GmbH, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung bisher im Inland hatte, in einen Drittstaat (weder EU-Mitgliedstaat noch EWR-Staat), zieht allein aufgrund dieser Maßnahme steuerliche Folgen nach sich. Hierdurch kann die sog. Schlussbesteuerung nach § 12 Abs. 3 Satz 1 KStG i.V.m. § 11 KStG ausgelöst werden, die im Jahr des Wegzugs zur Aufdeckung sämtlicher stiller Reserven im Betriebsvermögen der GmbH und deren Besteuerung führen kann. Aber auch die Sitzverlegung innerhalb der EU bzw. des EWR kann zu einer Besteuerung führen, wenn es durch den Vorgang der Sitzverlegung zu einer Entstrickung kommt.
aa) Verlegung des Sitzes einer inländischen GmbH
Rz. 332
Wird ausschließlich der Sitz einer GmbH, die bisher sowohl (Satzungs-)Sitz als auch Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland hatte, in das Ausland verlegt, verbleibt es zunächst gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG grundsätzlich bei der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht dieser Gesellschaft, weil sie ihre Geschäftsleitung noch im Inland hat. Damit ist kein Fall der Schlussbesteuerung nach § 12 Abs. 3 Satz 1 KStG gegeben, da diese den Verlust der unbeschränkten Steuerpflicht durch den Wegzug voraussetzt.
Rz. 333
Allerdings ist zu bedenken, dass zwar nicht mehr die Verlegung des Verwaltungssitzes (§ 4a GmbHG), sondern nur noch die des statutarischen Sitzes einer nach deutschem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft deren Auflösung zur Folge hat. Innerhalb der EU/des EWR sollte einer zwangsweisen Auflösung als Konsequenz der Satzungssitzverlegung die Niederlassungsfreiheit entgegenstehen. Für den Zeitraum vor Umsetzung der Richtlinie hat der EuGH in mehreren Urteilen entschieden, dass eine identitätswahrende Satzungssitzverlegung unter der Niederlassungsfreiheit möglich sein muss. Die Sitzverlegung hat allerdings einen Formwechsel in eine der GmbH entsprechende Rechtsform des Zuzugsstaats zur Folge.
Rz. 334
Durch die sog. Mobilitäts-Richtlinie wurde in 2017 eine gesellschaftsrechtliche Grundlage für die Satzungssitzverlegung (im Duktus der Richtlinie: "grenzüberschreitende Umwandlungen") geschaffen. Diese Richtlinie sieht nunmehr ein Verfahren für eine Verlegung des Satzungssitzes einer GmbH in einen anderen EU-Mitgliedstaat vor. Eine solche grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung war bislang Europäischen Rechtsformen, namentlich der SE und der SCE, vorbehalten. Die Möglichkeit einer solchen Sitzverlegung ergab sich unmittelbar aus den EU-Verordnungen, welche die rechtliche Grundlage dieser Rechtsformen bildeten. Die Mobilitäts-Richtlinie bedarf dagegen der Umsetzung in nationales Gesellschaftsrecht. Die Umsetzungsfrist endet am 31.1.2023.
Rz. 335
Kennzeichnend für eine grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung ist zum einen, dass die migrierende Gesellschaft ihre bisherige Rechtsform nach der Rechtsordnung ihres Herkunftsmitgliedstaats in eine Rechtsform des Zuzugsmitgliedstaats ändert. Dennoch erfolgt der Vorgang identitätswahrend, d.h. eine Liquidation der wegziehenden Gesellschaft und die Übertragung des Vermögens dieser Gesellschaft auf eine neue Gesellschaft des Zuzugsstaats findet nicht – auch nicht fiktiv – statt. Die Richtlinie verlangt auch nicht, dass Satzungs- und Verwaltungssitz der Gesellschaft sich vor oder nach der Sitzverlegung im gleichen Mitgliedstaat befinden, sie stellt sich aber entsprechenden Vorgaben der Mitgliedstaaten auch nicht entgegen.
Rz. 336
Steuerlich enthält die Fusions-Richtlinie die Eckpunkte der Besteuerung der Sitzverlegung, allerdings beschränkt auf die Sitzverlegungen von SE und SCE, welche von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen war. Die Besteuerung von Satzungssitzverlegungen anderer Kapitalgesellschaften, für die nun mit der Mobilitäts-Richtlinie auch ein unionsrechtlicher Rechtsrahmen geschaffen wurde, wird von der Fusions-Richtlinie gegenwärtig nicht erfasst. Es bleibt abzuwarten, ob der Anwendungsbereich der Richtlinie künftig auf solche Fälle ausgeweitet wird.
Rz. 337
Aufgrund des Umstands, dass die grenzüberschreitende identitätswahrende Satzungssitzverlegung unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit des AEUV bereits derzeit möglich ist, kommt schon vor der Umsetzung der Mobilitäts-Richtlinie in den Fällen der Verlegung des statutarischen Sitzes in ein Drittland die Regelung des § 11 Abs. 1 KStG (Liquidationsbesteuerung) nicht mehr zur Anwendung. Stattdessen sind die allgemeinen Regelungen zur Entstrickungsbesteuerung bei Kapitalgesellschaften einschlägig (vgl. § 12 Abs. 1 KStG).