Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 236
Obgleich der Gesetzgeber den sog. doppelten Inlandsbezug für die Qualifikation einer (EU-/EWR-) ausländischen Gesellschaft als Voraussetzung für die Eigenschaft als Organgesellschaft aufgegeben hat, verbleibt die Notwendigkeit der inländischen Geschäftsleitung der ausländischen Gesellschaft. Um Organgesellschaft zu sein, muss die ausländische Gesellschaft deshalb unbeschränkt steuerpflichtig sein. Aus abkommensrechtlicher Sicht ist eine solche Gesellschaft regelmäßig in Deutschland ansässig. Der Inlandsbezug in Form der Notwendigkeit einer inländischen Geschäftsleitung der Organgesellschaft verhindert grundsätzlich eine grenzüberschreitende Organschaft mit einer im Ausland ansässigen Gesellschaft und damit insbesondere die Verrechnung der Gewinne einer inländischen GmbH mit den Verlusten einer ausländischen Kapitalgesellschaft.
Rz. 237
Ein weiterer, weniger offensichtlicher Inlandsbezug ergibt sich aus der fortbestehenden Notwendigkeit des Abschlusses eines Ergebnisabführungsvertrags mit der (doppelt) ansässigen Tochtergesellschaft. Da ein Ergebnisabführungsvertrag bei der Tochtergesellschaft im Handelsregister einzutragen ist und die meisten Rechtsordnungen der anderen EU-Mitgliedstaaten das Rechtsinstitut der Ergebnisabführung nicht kennen, ergibt sich aus der Notwendigkeit des Abschlusses des Ergebnisabführungsvertrags und dessen Eintragung im Handelsregister ein faktisches Hindernis, eine Organschaft mit einer doppelt ansässigen Tochtergesellschaft begründen zu können. Die Europäische Kommission hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Entsprechend hat die OFD Frankfurt mit Verfügung vom 12.11.2019 geäußert, dass ein Ergebnisabführungsvertrag mit einer doppelt ansässigen Tochtergesellschaft mit ausländischem Satzungssitz nur anzuerkennen ist, wenn er
▪ |
vollständig den Vorgaben des § 291 AktG entspricht und insbesondere auch eine Pflicht zur Verlustübernahme entsprechend der Regelung des § 302 AktG beinhaltet, |
▪ |
nach ausländischem (Zivil-)Recht zulässig ist (insbesondere Vereinbarkeit mit den dortigen handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zum Schutz von Gläubigern sowie Minderheitsgesellschaftern), |
▪ |
in eintragungspflichtiger Form vereinbart wird, d.h. es besteht entweder nach ausländischem Recht eine Pflicht, die Regelungen in ein mit dem deutschen Handelsregister vergleichbares öffentliches Register einzutragen, oder die Regelungen zur Gewinnabführung werden in die Satzung der beherrschten Gesellschaft aufgenommen und es besteht nach dem ausländischen Recht eine Eintragungspflicht hinsichtlich der Satzungsänderungen, |
▪ |
falls der Gewinnabführungsvertrag nicht selbst in der Satzung verankert wird, satzungsändernden Charakter hat (eine bloße satzungsüberlagernde Wirkung genügt nicht). |
Es ist zu erwarten, dass vor diesem Hintergrund die Kommission ihr Vertragsverletzungsverfahren weiter betreiben wird. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf ein Urteil des FG Schleswig-Holstein, welches in einem Fall einer grenzüberschreitenden Berücksichtigung finaler Verluste bei einer ausländischen Tochtergesellschaft entschieden hatte, dass eine vergleichbare Situation auch dann bestehe, wenn Mutter- und Tochtergesellschaft eine "Organschaft auf faktischer Grundlage gelebt" hätten. Hierzu sei eine "verbindliche schuldrechtliche Vereinbarung" ausreichend. Das FG hat dadurch § 14 KStG geltungserhaltend reduziert und auf das formelle EAV-Erfordernis verzichtet. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH in der Revisionsinstanz entscheidet. Ein Abrücken vom EAV-Erfordernis dürfte dann auch für den Fall einer Organschaft mit einer Tochtergesellschaft mit (EU-)ausländischem Satzungssitz und inländischem Verwaltungssitz zu berücksichtigen sein.