Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 278
Seit dem Veranlagungszeitraum 2008 wird die sog. grenzüberschreitende Funktionsverlagerung als ein besonderer Fall der Verrechnungspreiskorrektur in § 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG behandelt. Mit der Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV) hat der Verordnungsgeber sein Recht aus § 1 Abs. 3 Satz 13 AStG ausgeübt und eine Rechtsverordnung erlassen, mit der er die Einzelheiten zur Besteuerung der Funktionsverlagerung näher konkretisiert hat. Zudem konkretisiert die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 13.10.2010 Grundsätze, wie sie die Funktionsverlagerung behandelt. Danach ist eine Funktion, auf die die entsprechenden Verrechnungspreisregeln anzuwenden sind, "eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von Personal in bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden".
Rz. 279
Eine solche Funktion kann nach Ansicht der Finanzverwaltung u.a. zu folgenden Geschäftstätigkeiten gehören: Geschäftsleitung, Forschung und Entwicklung, Materialbeschaffung, Lagerhaltung, Produktion, Verpackung, Vertrieb, Montage, Bearbeitung und Veredelung von Produkten, Qualitätskontrolle, Finanzierung, Transport, Organisation, Verwaltung, Marketing, Kundendienst.
Rz. 280
Eine Funktionsverlagerung liegt nach Auffassung des BMF vor, wenn "ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen nahe stehenden Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird". Danach kommt eine Funktionsverlagerung insbesondere dann in Betracht, wenn im Inland eine geschäftliche Aktivität aufgegeben oder in ihrem Umfang reduziert und im Ausland eine zumindest vergleichbare aufgebaut wird. Welche Gründe hierfür ausschlaggebend waren, spielt dabei prinzipiell keine Rolle. Die Entscheidung für die Funktionsverlagerung kann durchaus auf einer ökonomischen Notwendigkeit beruhen, z.B. weil ein Kunde von seinem Zulieferer verlangt, dass dieser ab sofort vor Ort produziert.
Rz. 281
Liegt eine solche Funktionsverlagerung vor, führt diese nach der Intention des Gesetzgebers zu einer Gewinnrealisierung auch hinsichtlich der stillen Reserven, die in einem der Funktion zuzuordnenden anteiligen Firmenwert ruhen. Das gilt unabhängig davon, dass es sich bei der verlagerten Funktion nicht um einen (Teil-)Betrieb handelt. Insbesondere erfasst die Regelung auch Bestandteile der sich erst nach der Verlagerung im Ausland realisierenden Gewinnchancen.
Rz. 282
Bei der Ermittlung des (hypothetischen) Fremdvergleichspreises ist nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG die Funktion als Ganzes, das sog. Transferpaket, zugrunde zu legen. Die Ermittlung des Fremdvergleichspreises richtet sich nach den für Verrechnungspreise allgemein geltenden Grundsätzen, die neuerdings in § 1 Abs. 3 Sätze 1 bis 8 AStG kodifiziert sind. Bei der Bewertung des Transferpakets ist nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG außerdem ein funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssatz anzuwenden. Eine Ausnahme von der Gesamtbewertung gilt nach § 1 Abs. 3 Satz 10 1. Alt. AStG jedoch für den Fall, dass der Steuerpflichtige glaubhaft machen kann, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (insbesondere kein Firmenwert) und Vorteile mit der verlagerten Funktion verbunden sind. Unter diesen Umständen können für die einzelnen übergegangenen Wirtschaftsgüter isoliert Verrechnungspreise ermittelt werden. Eine solche Einzelpreisbestimmung ist nach § 1 Abs. 3 Satz 10 2. Alt. AStG auch zulässig, wenn deren Gesamtergebnis, gemessen an der Bewertung des Transferpakets als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Darüber hinaus ist in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG die widerlegbare Vermutung des Gesetzgebers kodifiziert, dass fremde dritte Vertragsparteien eine Preisanpassungsklausel vereinbart hätten, wenn Gegenstand der Funktionsverlagerung wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile waren und die tatsächliche Geschäftsentwicklung erheblich von derjenigen abweicht, die der ursprünglichen Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, weil diese Entwicklung ein Indiz für bei den Vertragsparteien im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der Preisvereinbarung sei. Damit wird die Grundlage für die nachträgliche Korrektur (§ 1 Abs. 3 Satz 12 AStG) des für eine bestimmte Funktionsverlagerung einmal als angemessen beurteilten Verrechnungspreises aufgrund erst später eintretender Ereignisse geschaffen.
Rz. 283
Da die grenzüberschreitende Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG einer schärferen Besteuerung unterliegt als der vergleichbare inländische Fall, ist an eine Verletzung der Niederlassungs- (Art. 49 AEUV) un...