Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 122
Die EU-Mitgliedstaaten müssen die EU-Richtlinie bis zum 31.12.2019 in nationales Recht implementieren. Die Richtlinie ist seit dem 1.7.2020 anzuwenden. Ein Unikum stellte in diesem Zusammenhang die Regelung des Art. 8ab Abs. 12 DAC6-AHiRL dar, nach dem unter die Kennzeichen fallende, grenzüberschreitende Gestaltungen rückwirkend nachgemeldet werden müssen, deren erster Umsetzungsabschnitt ab dem Datum des Inkrafttretens am 25.6.2018 der DAC6-AHiRL und vor dem eigentlichen Anwendungsbeginn am 1.7.2020 unternommen wird (Vorwirkungs- bzw. Übergangszeitraum). Damit wurden die Rechtsanwender in der ersten Phase der Regelsetzung gezwungen, nur auf Basis der Richtlinie und ohne nationales Umsetzungsgesetz zu prüfen und zu dokumentieren, welche Gestaltungen nachgemeldet werden müssen. Zudem brachte die DAC6-AHiRL die nationalen Gesetzgeber in die missliche Lage, ihre auf der Richtlinie aufbauenden Gesetze rückwirkend zu erlassen. Dies war eine unvermeidbare Folge der harten Anwendungsregelung des Art. 8ab Abs. 12 DAC6-AHiRL: Kein Staat hätte innerhalb der de facto bestehenden 20-Tage-Frist zwischen Veröffentlichung und Inkrafttreten ein eigenes Gesetz erlassen können, um eine Rückwirkung der nationalen Regelung zu vermeiden. Inzwischen ergibt sich die Pflicht zur Nachmeldung von Gestaltungen aus dem jeweiligen nationalen Gesetz, in Deutschland bspw. aus § 33 Abs. 2 EGAO, der Ende 2019 in Kraft getreten ist. Jedenfalls für den Zeitraum seit dem 1.1.2020 kann daher nicht mehr von einer echten Rückwirkung gesprochen werden. Das BMF hat im Juli 2020 einen zweiten Entwurf eines Schreibens hinsichtlich der Anwendung der §§ 138d–138k AO vorgelegt. Das finale Schreiben wird nach wie vor, insbesondere wegen der Auslegung der Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe der Richtlinie, erwartet.
Rz. 123
Das deutsche DAC6-Umsetzungsgesetz setzt die Regelungen aus der DAC6-Amtshilfe-Richtlinie systemgerecht im Rahmen der Erfassung des Steuerpflichtigen unter den nach § 138 AO normierten Anzeigepflichten insbesondere in den neuen §§ 138d–138k AO sowie im Finanzverwaltungsgesetz und im EU-Amtshilfegesetz um und entspricht weitgehend einer 1:1-Umsetzung der EU-Vorgaben. Diese statuieren grds. dann eine Meldepflicht (nach deutschem DAC6-Umsetzungsgesetz: Mitteilungspflicht), wenn eine Steuergestaltung grenzüberschreitend ist und eines der sog. Kennzeichen erfüllt. Gegenüber dem Diskussionsentwurf wurde eine Vielzahl von zumeist technischen Änderungen vorgenommen. Inhaltlich wurde etwa der Geltungsbereich der unter dem Vorbehalt des "Main Benefit"-Tests stehenden Kennzeichen dahingehend eingeschränkt, dass diese dann keine Meldepflicht auslösen, wenn der durch die grenzüberschreitende Gestaltung erlangte steuerliche Vorteil unter Berücksichtigung aller Umstände als gesetzlich vorgesehen gelten kann und dies in einem BMF-Schreiben festgestellt ist, sog. "White List" (§ 138d Abs. 3 Satz 3 AO). In den Vorstadien des Gesetzgebungsverfahrens war der gesetzlich vorgesehene Steuervorteil noch abstrakt im Gesetz definiert und stand nicht unter dem Vorbehalt eines BMF-Schreibens. Ein Verstoß gegen die Meldepflicht soll weiterhin als Ordnungswidrigkeit eingestuft und mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 EUR belegt werden, wobei die Sanktionsnorm erst für Gestaltungen greift, deren erster Umsetzungsschritt nach dem 30.6.2020 erfolgt.