Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 124
Im Vergleich zur Richtlinie fallen im DAC6-Umsetzungsgesetz zwei Besonderheiten auf. Zum einen führt Deutschland ein spezielles Mitteilungsverfahren ein, das darauf abzielt, den Intermediär auch bei Vorliegen einer berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht in die Verantwortung zu nehmen. Die Pflicht zur partiellen, anonymisierten Meldung fällt nun auch im Fall des Bestehens einer Verschwiegenheitspflicht immer auf den Intermediär. Die Pflicht zur vollständigen, personalisierten Meldung trifft den Intermediär bei Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch den Mandanten. In jedem Fall müssen die Intermediäre ihre Mandanten unverzüglich über das Bestehen einer Meldepflicht und die Möglichkeit der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht informieren, um die Pflicht zur personalisierten Meldung auf den Mandanten zu verlagern. Der Mandant kann aber auch im Fall einer Verschwiegenheitspflicht die vollständige Meldung inkl. der für den Intermediär vorgesehenen Teile abgeben, wenn er dies möchte bzw. wenn dies vereinbart wird. Zum anderen hat der Bundestag eine spezielle Ermächtigungsklausel in das Gesetz aufgenommen, nach der das BMF in Abstimmung mit den Ländern im Zusammenhang mit dem "Main Benefit"-Test bestimmte Fallgruppen von der Mitteilungspflicht ausnehmen kann (sog. "White List"), bei denen pauschal angenommen wird, dass kein Steuervorteil im Sinne des "Main Benefit"-Tests besteht. Diese Regelung, mit der die Finanzverwaltung ermächtigt wird, einseitig zu bestimmen, bei welchen Fallgruppen kein steuerlicher Vorteil anzunehmen sei, muss europarechtlich als fraglich qualifiziert werden. Der Begriff des Steuervorteils ist europarechtlich autonom und im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Richtlinie einheitlich auszulegen bzw. zu bestimmen. Dieses obliegt der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten frühestens anlässlich der Bewertung der Kennzeichen nach dem 1.7.2022 (Art. 27 Abs. 2 AHiRL) oder der Rechtsprechung des EuGH. Dessen ungeachtet steht es der Finanzverwaltung wie üblich frei, Gesetze auszulegen, die auf EU-Richtlinien basieren. Trotz der im Vorfeld teilweise heruntergespielten Tragweite der Meldepflicht ist im Rahmen der gesetzlichen Umsetzung und insbesondere während der Rückwirkungsphase und mit der Abgabe der ersten Mitteilungen seit dem 1.7.2020 deutlich geworden, dass die DAC6 insbesondere für Intermediäre und Steuerpflichtige, aber auch für die Finanzverwaltung eine erhebliche Zusatzbelastung bedeutet. Dies gestand der Gesetzentwurf der Bundesregierung auch ein: "Die mitteilungspflichtigen Tatbestände sind entsprechend der [DAC6-Amtshilfe-Richtlinie] sehr umfassend. Ohne die genaue Anzahl der Mitteilungen vorausberechnen zu können, ist mit einer spürbaren Belastung der Intermediäre durch den Erfüllungsaufwand zu rechnen. Für die Wirtschaft entsteht hoher einmaliger und laufender Erfüllungsaufwand." […] "Aufgrund der weitgefassten Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen und der Anzahl der in Deutschland steuerpflichtigen Unternehmen (ca. 3,37 Mio.) wird von einer Größenordnung an Meldungen im fünfstelligen Bereich ausgegangen."
Rz. 125
Auch wenn der Erfüllungsaufwand keine absolute Entsprechung auf Seiten der Steuerbehörden haben wird, werden immer noch genügend Sachverhalte übrigbleiben, die (vorsichtshalber) gemeldet werden und daher auch zu prüfen sind. Dies wird staatlicherseits erhebliche Bürokratiekosten verursachen und das zusätzliche Steueraufkommen, das durch die Schließung von Steuerschlupflöchern möglicherweise erzielbar ist, jedenfalls zum Teil einer anderweitigen Verwendung im Staatshaushalt entziehen. Die Kosten auf Seiten des Bundes (BZSt, Generalzolldirektion und Informationstechnikzentrum Bund) schätzte der Regierungsentwurf in den Jahren 2020 bis 2022 auf ca. 21–23 Mio. EUR. Ein erheblicher Anteil der Kosten entsteht durch den Aufbau der IT-Infrastruktur, die auch KI-gestützte Tools zur Auswertung der Mitteilungen beinhaltet. Da komplexe Steuergestaltungen bis auf weiteres nicht ausschließlich elektronisch ausgewertet werden können, wird die DAC6 dauerhaft auch personelle Ressourcen der Finanzverwaltung binden. Anfang 2020 hieß es, allein beim BZSt seien 50 Personen für die Auswertung der Mitteilungen abgestellt. Hinzu kommen die Kosten der Länderebene, die in den vorgenannten Zahlen noch nicht enthalten sind.