Rz. 6

Nach § 72 ZPO ist die Streitverkündung zulässig, wenn eine Partei (Kläger, Beklagter, Antragsteller oder Antragsgegner) meint, für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreites einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten (Dritter kann auch der eigene/fremde Streitgenosse sein[4]) zu haben ("Sicherungsstreitverkündung") oder den Anspruch eines Dritten besorgen zu müssen ("Abwehrstreitverkündung"). Die Zulässigkeit der Streitverkündung ist grundsätzlich nicht im Erstprozess, in dem der Streit verkündet wird, sondern erst im Folgeverfahren zwischen dem Streitverkünder und dem Streitverkündungsempfänger zu prüfen.[5]

 

Rz. 7

Der Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften erfasst nicht alle zulässigen Fallgestaltungen und ist begrifflich zu eng gefasst. Eine Streitverkündung ist immer dann zulässig, wenn der Streitverkünder zu der Annahme berechtigt ist, dass durch die im Vorprozess zu treffenden Feststellungen ein Folgeprozess ganz oder teilweise entbehrlich werden könnte.[6] Die Vorschrift ist also weit auszulegen.[7] Es kommt darauf an, dass der Anspruch, welcher den Grund für die Streitverkündung bildet, mit dem Anspruch, welcher den Gegenstand des Hauptprozesses darstellt, in einem Verhältnis der wechselseitigen Ausschließung steht.[8] Maßgeblich ist hierbei allein die "subjektive Sicht des Streitverkünders", weshalb unerheblich ist, ob der Drittanspruch nach der objektiven Rechtslage wirklich besteht.[9]

 

Rz. 8

 

Beispiele

Beispiele für die Zulässigkeit der Streitverkündung sind etwa folgende Konstellationen:

Klage aus Gewährleistung gegen den Bauunternehmer und dessen Streitverkündung gegenüber dem von ihm beauftragten Subunternehmer;
Klage auf Schadensersatz gegen den Verkäufer und dessen Streitverkündung gegenüber dem Lieferanten der Sache;
Klage auf Schadensersatz gegen den haftpflichtversicherten Versicherungsnehmer und dessen Streitverkündung gegenüber dem Versicherer für den Deckungsprozess.

In allen genannten Fällen glaubt der Streitverkünder im Fall des ihm ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreites gegen den Streitverkündungsadressaten einen Anspruch zu haben, der zu dem eingeklagten Anspruch in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis steht.

 

Rz. 9

Im Fall der sog. tatsächlichen Alternativität, d.h. wenn der Geschädigte weiß, dass er entweder von A oder von B geschädigt wurde, ist die Streitverkündung ebenfalls zulässig.[10]

 

Rz. 10

Unzulässig ist die Streitverkündung dagegen in den Fällen der sog. kumulativen Haftung von Partei und dem Dritten, also z.B. bei der echten Gesamtschuldnerschaft. Haften Beklagter und Streitverkündungsadressat gesamtschuldnerisch nebeneinander, fehlt es an einem berechtigten Interesse an den Wirkungen der Streitverkündung, da beide von dem Anspruchsinhaber nebeneinander verklagt werden können.[11] Die Haftung des einen Schuldners hängt nicht vom Ausgang des Prozesses gegen den anderen Schuldner ab.[12]

 

Rz. 11

 

Hinweis

Allerdings kann der in Anspruch genommene Gesamtschuldner dem nicht verklagten Gesamtschuldner zur Absicherung des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 BGB den Streit verkünden.[13] Im Ergebnis ist also eine Streitverkündung des Geschädigten gegen einen mutmaßlichen weiteren Gesamtschuldner unzulässig, während der in Anspruch genommene Schuldner dem vermeintlich mithaftenden Gesamtschuldner wegen des Ausgleichsanspruchs den Streit verkünden kann.[14]

 

Rz. 12

Besteht dagegen die Haftung zwischen den Gesamtschuldnern nur zum Teil kumulativ, dann wird die Streitverkündung ausnahmsweise als zulässig angesehen.[15]

 

Rz. 13

Eine Streitverkündung gegenüber dem streitentscheidenden Richter[16] oder dem gerichtlich bestellten Sachverständigen ist gem. § 72 Abs. 2 ZPO unzulässig.[17] Hingegen ist eine Streitverkündung sowohl gegenüber dem eigenen Prozessbevollmächtigten als auch gegenüber dem gegnerischen Prozessbevollmächtigten möglich, wenn ein Streitverkündungsgrund gegeben ist.[18]

 

Rz. 14

Glaubt der Beklagte nach einer Streitverkündung durch den Kläger, seinerseits gegenüber dem Dritten einen Anspruch zu haben, kann auch er ihm den Streit verkünden (sog. doppelte Streitverkündung gegenüber dem Dritten). Gerade in Bausachen ist dies im Verhältnis der Beteiligten (Bauherr, Unternehmer, Subunternehmer oder Bauherr, Unternehmer, Architekt) anzutreffen. Der Streitverkündungsempfänger kann auch dann frei entscheiden, ob und auf welcher Seite er beitritt.

 

Rz. 15

Dem Dritten ist nach § 74 Abs. 3 ZPO eine weitere Streitverkündung möglich (insbesondere bei Kettenverträgen), auch wenn er nicht beigetreten ist. Entscheidend ist sein Interesse und nicht, ob die Streitverkündung auch im Interesse der Hauptpartei liegt.[19]

 

Rz. 16

Die Streitverkündung ist eine förmliche Prozesshandlung. Es müssen daher die allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen (zur Form im Übrigen Rdn 24 ff.). Die Erklärung ist bedingungsfeindlich.[20] Unzulässig ist daher die (Eventual-)Streitverkündung für den Fall des Obsiegens des Streitverkünders.[21]

[4] BGH ...

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