Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 57
Streitverkündung ist die Benachrichtigung eines an einem Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten (Streitverkündungsempfänger, Streitverkündeter) vom Schweben des Prozesses, um ihm die Möglichkeit der Prozessbeteiligung oder -übernahme zu geben (§§ 74 Abs. 1, 67 ZPO) und um sich selbst den nachfolgenden Rückgriffsprozess gegen den Dritten wegen § 68 ZPO zu erleichtern.
Rz. 58
Einer Streitverkündung liegt somit regelmäßig folgende Konstellation zugrunde: Drei Personen sind direkt oder indirekt von einem Rechtsverhältnis betroffen. Zwei Personen davon tragen einen Rechtsstreit aus. Es könnte nun sein, dass der Kläger verliert und deshalb einen zweiten Prozess gegen den Dritten führen will. Dieser soll im Folgeprozess nicht einwenden können, der Prozess sei falsch entschieden oder mangelhaft geführt worden und nur deshalb werde er jetzt in Regress genommen. Um das zu verhindern, kann dem Dritten daher schon im Ausgangsprozess der "Streit verkündet" werden. Damit wird also vermieden, dass der Mandant in einem zweiten Prozess mit einer Begründung unterliegt, die dem ersten Urteil widerspricht.
Rz. 59
Die Streitverkündung hat für den Kläger außerdem den Vorteil, dass die Verjährung von Ansprüchen gegen den Dritten gehemmt wird, § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB.
Rz. 60
Der Streitverkündete muss in der Lage sein, den bisherigen Prozessgang nachzuverfolgen. Der Streitverkündungsschrift sind daher alle wesentlichen Schriftstücke beizufügen, des Weiteren, soweit diese schon vorliegt, die Ladung zum Termin. Zum Zwecke der Streitverkündung muss gemäß § 73 S. 1 ZPO ein dem Streitverkündungsempfänger zuzustellender Schriftsatz eingereicht werden, in dem der Grund der Streitverkündung und die Lage des Rechtsstreits anzugeben sind.
Formulierungsbeispiel
„In pp. wird Herrn […] (Name, Adresse) der Streit mit der Aufforderung verkündet, auf Seiten des Klägers beizutreten.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld aus unerlaubter Handlung in Anspruch. Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts wird auf die beigefügte Klage Bezug genommen. Der Beklagte hat sich damit verteidigt, nicht er, sondern der Streitverkündungsempfänger habe den Kläger mit der Faust geschlagen. Sollte der Kläger deshalb den Rechtsstreit verlieren und die Klage abgewiesen werden, würde eine Haftung des Streitverkündungsempfänger in Betracht kommt.
Das Gericht hat Termin zur Güteverhandlung und ggf. im Anschluss daran Termin zur mündlichen Verhandlung auf […] anberaumt.
Für den Streitverkündeten werden zur Zustellung folgende Unterlagen überreicht:
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Klage vom […] nebst Anlagen |
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Klageerwiderung vom […] |
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Terminladung […]“ |
Rz. 61
Im Ausgangsprozess prüft das Gericht nicht, ob die Streitverkündung zulässig ist. Tritt der Streitverkündete nicht bei, wird der Prozess ohne Rücksicht auf ihn fortgesetzt, § 74 Abs. 2 ZPO. Er erhält keine Schriftsätze, keine Terminladungen und kein Urteil, sodass er auch nicht weiß, ob es sinnvoll wäre, Berufung einzulegen. Für den Dritten kann sich das Nichtbeitreten später nachteilig auswirken. Kommt es zu einem Folgeprozess, prüft dieses Gericht erst dann die Zulässigkeit der Streitverkündung, also ob der erste Prozess für den Dritten verbindlich ist.
Rz. 62
Die Partei, die den Streit verkünden möchte, kann mit dem Dritten auch einen Streitverkündungsvertrag vereinbaren, sodass die Wirkungen der Streitverkündung auch ohne Kenntnis des Gegners eintreten. Damit gibt der Kläger gegenüber dem Beklagten und dem Gericht nicht zu erkennen, dass er bereits jetzt seine Klageaussichten in der Weise kritisch sieht, dass es vielleicht noch auf einen Regressprozess ankommen wird. Auch der Dritte kann sich bedeckt halten.
Rz. 63
Der Dritte wird einen Beitritt in folgenden Fällen kritisch prüfen:
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Ist der Rechtsstreit schon weit vorangeschritten, kann der Dritte ihn kaum noch beeinflussen. Mit dem Einwand der schlechten Prozessführung ist er nicht von vornherein ausgeschlossen, das Risiko, auch mit Kosten belastet zu werden, lohnt sich möglicherweise nicht. |
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Der Streitverkündete hält die Sache der Partei für aussichtslos oder er hat unabhängig vom anhängigen Prozess in einem Folgeverfahren gute Erfolgsaussichten. |
Rz. 64
Im Zweifel ist dem Streitverkündeten zur Wahrung der prozessualen Befugnisse zu empfehlen, beizutreten, insbesondere, um die günstigen Tatsachen vorzutragen. Er kann bei berechtigtem Interesse auch dem Gegner beitreten. Der Streitverkündete darf nicht den Erklärungen und Handlungen seiner Partei widersprechen; mithin nicht die Klage ändern oder zurücknehmen, für erledigt erklären, verzichten oder anerkennen oder einen Vergleich schließen.
Rz. 65
Ein bislang unbeteiligter Dritter sollte von sich aus einem Rechtsstreit nicht beitreten, weil das zwischen den Parteien ergehende Urteil als richtig hinzunehmen wäre. Hat sich der Dritte nicht eingemischt, kann dieser später uneingeschränkt geltend machen, jenes Urteil sei falsch.
Rz. 66
Hinsichtlich der Kosten gilt nach § 101 Abs. 1 ZPO Folgendes: Nur im Falle ein...