Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 90
Ablehnungsanträge können bei Vorliegen eines Ablehnungsgrundes gestellt werden gegen:
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Richter, §§ 42 ff. ZPO, |
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Rechtspfleger, § 10 RPflG, |
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Gerichtsvollzieher, § 155 GVG, |
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Schiedsrichter, § 1036 ZPO, |
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Sachverständige, § 406 ZPO, |
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Dolmetscher, § 191 GVG. |
I. Befangenheitsantrag gegen einen Richter
Rz. 91
Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, § 42 Abs. 1 ZPO. Ablehnungsgründe sind somit sämtliche Ausschließungsgründe und die Besorgnis der Befangenheit.
Rz. 92
Ist das Gericht voreingenommen und ist zu befürchten, dass der Rechtsstreit verloren wird, kann ggf. noch mit einem Wechsel des Richters – erzwungen durch einen Befangenheitsantrag – vorgegangen werden. Der Antrag sollte unbedingt nur dann gestellt werden, wenn er absolut aussichtsreich ist. Ansonsten droht eine atmosphärische Störung des weiteren Verfahrens, wenn dem Gericht erfolglos ein Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Ein Befangenheitsverfahren sollte ultima ratio bleiben.
Rz. 93
Nach der Definition des Gesetzes, § 42 Abs. 2 ZPO, findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Nach dieser Norm kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nur ablehnen, wenn objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Gesuchstellers scheiden aus.
Rz. 94
Verfahrensmängel sind dazu nur dann geeignet, wenn das prozessuale Vorgehen des Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von einem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für die dadurch betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt. Zwei schwerwiegende Verfahrensverstöße (unterlassene Begründung einer begründungspflichtigen Entscheidung ohne vorherige mündliche Verhandlung) rechtfertigen bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis, dass der abgelehnte Richter "kurzen Prozess" machen und den Beklagten ohne Federlesens verurteilen will. Dies ist jedoch erst anzunehmen, wenn die Grenze zu einem willkürlichen Handeln überschritten ist. Das Vorliegen eines "Verfahrensfehlers" begründet also allein noch keine Voreingenommenheit. Verfahrensverzögerungen, auch über längere Zeiträume hinweg, sind selbst dann, wenn sie als schwer zumutbar empfunden werden, regelmäßig kein Ablehnungsgrund. Etwas anderes gilt nur, wenn sich der Eindruck einer sachwidrigen, auf persönlicher Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt.
Rz. 95
Einer Partei ungünstige Ausführungen im Rahmen der richterlichen Hinweis- und Begründungspflicht oder bei einem Vergleichsvorschlag rechtfertigen keine Befangenheitsbesorgnis, insbesondere wenn sie eine erst vorläufige Beurteilung darstellen. Die Rechtsauffassung eines Richters vermag generell keine Befangenheitsbesorgnis zu rechtfertigen; auf eine behauptete Fehlerhaftigkeit der Rechtsauffassung kommt es prinzipiell nicht an. Denn die Befangenheitsablehnung ist kein Instrument zur Fehlerkontrolle; auch fehlerhafte Entscheidungen sind deshalb grundsätzlich kein Ablehnungsgrund.
Der BGH hat zu den hohen Anforderungen, wann im Ausnahmefall die Grenze zur Befangenheit überschritten sein könnte, entschieden:
Rz. 96
Zitat
"Die Zugrundelegung einer der Partei ungünstigen Rechtsauffassung rechtfertigt nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Auch auf die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung kommt es regelmäßig nicht an. (...) Allerdings gilt es zu bedenken, dass Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht nur den gesetzlichen Richter garantiert, sondern auch einen Richter, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (BVerfG 2007, 3771, 3772 m.w.N.), und dass dieser Aspekt in besonderer Weise betroffen ist, wenn über die Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit zu befinden ist. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund kommt die Annahme einer solchen Besorgnis in Betracht, wenn die Auslegung des Gesetzes oder dessen Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite dieser Verfassungsgarantie in grundlegender Weise verkennt (vgl. auch BVerfG, NJW 2005, 3410, 3411; NJW-RR 2008, 72, 74; jeweils m.w.N.)."
Rz. 97
Ein geeigneter Ablehnungsgrund kann beispielsweise...