Rz. 31
Handelsbräuche sind die kaufmännischen Verkehrssitten. Sie beruhen auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen tatsächlichen Übung der beteiligten Verkehrskreise. Der EuGH bejaht einen Handelsbrauch, wenn die in einer Branche tätigen Kaufleute bei Abschluss einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig ein bestimmtes Verhalten befolgen.
Hinweis
Vom Gewohnheitsrecht unterscheiden sich die Handelsbräuche dadurch, dass sie neben der dauernden Übung einen allgemeinen Rechtsgeltungswillen nicht voraussetzen. Aus diesem Grund werden Handelsbräuche von der herrschenden Meinung auch nicht als Rechtsnormen anerkannt.
Rz. 32
Im Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten kommt den Handelsbräuchen nach § 346 HGB jedoch rechtlich verpflichtende Wirkung zu. Dieser Umstand hat folgende Konsequenzen:
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Handelsbräuche sind sogar dann verbindlich, wenn die Beteiligten ihre Geltung nicht vereinbart haben, und selbst dann, wenn sie ihnen unbekannt waren. |
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Dispositives Recht wird durch Handelsbräuche verdrängt. |
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Zwingendes Recht kann dagegen durch einen Handelsbrauch weder verdrängt noch eingeschränkt werden. |
Rz. 33
Wie es auch im Wortlaut des § 346 HGB zum Ausdruck kommt, finden Handelsbräuche ihren Hauptanwendungsbereich bei der Auslegung von Willenserklärungen, dem Zustandekommen von Verträgen, der Auslegung von abgeschlossenen Verträgen – hier v.a. bei der Bestimmung des Umfangs der gegenseitigen Rechte und Pflichten – und schließlich bei der Ergänzung unvollständiger Vertragsabreden. In einigen Vorschriften des HGB wird zu diesem Auslegungszweck ausdrücklich auf Handelsbräuche Bezug genommen (vgl. §§ 359 Abs. 1, 380, 393 Abs. 2 HGB).
Rz. 34
Besonderheiten gelten in diesem Zusammenhang für die sog. Handelsklauseln. Handelsklauseln sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die Parteien zur Begründung von Rechten und Pflichten mit der Verwendung bestimmter Klauseln, Formeln oder üblichen Abkürzungen im Vertrag begnügen. Die Handelsbräuche sind dann wiederum für die Auslegung solcher Kurzformeln heranzuziehen.
Beispiele
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So bedeutet etwa "Nachnahme", dass der Käufer bei Aushändigung der Ware durch Barzahlung vorzuleisten hat. Der Barzahlung steht die sofortige Überweisung oder Aushändigung eines gedeckten Schecks gleich, wohingegen eine Aufrechnung ausgeschlossen ist. |
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Die Kurzformel "Selbstbelieferung vorbehalten" bedeutet, dass der Verkäufer von seiner Lieferpflicht befreit ist, wenn er ein kongruentes Deckungsgeschäft abgeschlossen hat und von seinem Lieferanten nicht beliefert wird. Ein Deckungsgeschäft ist nur dann kongruent, wenn der Verkäufer bei Abschluss des Kaufvertrages bereits einen verbindlichen Einkaufsvertrag abgeschlossen hat, der ihm die Erfüllung seiner Lieferpflicht ermöglicht. Der Einkaufsvertrag muss dabei auf Waren mindestens gleicher Qualität und Menge gerichtet sein und entsprechende Liefertermine vorsehen. |
Rz. 35
Für den internationalen Handel hat die International Chamber of Commerce, d.h. die internationale Handelskammer in Paris (ICC bzw. IntHK) eine Zusammenstellung der Auslegung von national handelsüblichen Vertragsformeln ("Trade Terms") erarbeitet. Daran knüpfen die Incoterms (International Commercial Terms) an, die eine einheitliche Auslegung von handelsüblichen Vertragsklauseln gewährleisten sollen. Die aktuelle Fassung gilt seit dem 1.1.2020.
Beispiele
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EXW (Ex Works; Ab Werk): Eine solche Klausel hat die Bedeutung, dass der Verkäufer lediglich verpflichtet ist, die Ware auf seinem Grundstück zur Verfügung zu stellen, wohingegen der Käufer alle Kosten und Gefahren, die mit dem Transport der Ware vom Werk zum Bestimmungsort verbunden sind, zu tragen hat (= Incoterms Nr. 1). |
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FOB (Free On Board; Frei an Bord) … benannter Verschiffungshafen: Dies bedeutet, dass der Verkäufer die Kosten und die Gefahr des Untergangs oder der Beschädigung der Ware bis zum Überschreiten der Schiffsreling trägt (= Incoterms Nr. 4). |
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CFR (Cost and Freight; Kosten und Fracht): Diese Klausel hat die Bedeutung, dass der Verkäufer den Transportvertrag zu den üblichen Bedingungen des Seefrachtvertrages abzuschließen und die Kosten der Fracht zu tragen hat (= Incoterms Nr. 5). |
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CIF (Cost, Insurance and Freight; Kosten, Versicherung und Fracht) … benannter Bestimmungshafen: Dies bedeutet, dass der Verkäufer die Kosten, die Versicherung und die Fracht bis zum Abladen im Bestimmungshafen zu tragen hat (= Incoterms Nr. 6). |
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DDP (Delivered Duty Paid; Geliefert verzollt) … benannter Bestimmungsort im Inland: Bei Verwendung einer derartigen Klausel ist der Verkäufer verpflichtet, die Ware auf eigene Kosten und Gefahr verzollt am Bestimmungsort abzuliefern und alle im Kaufvertrag vorgesehenen Belege dafür zu erbringen (= Incoterms Nr. 11). |