Rz. 22
§ 343 Abs. 1 HGB setzt zunächst überhaupt "Geschäfte" voraus. Geschäfte sind Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Unterlassungen, wie z.B. die Mahnung nach § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB, die Leistung und ihre Annahme, das Schweigen im Handelsverkehr oder die Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 BGB). Nicht unter den Geschäftsbegriff i.S.d. § 343 HGB fallen dagegen die Vermischung und Verarbeitung (§§ 946 ff. BGB), unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff. BGB) oder Ansprüche aus den §§ 3 ff. UWG. So lösen z.B. Ansprüche aus dem Zusammenstoß der Kfz zweier Kaufleute auf einer Betriebsfahrt nicht den Zins nach § 353 HGB aus und gehören auch nicht nach § 95 Nr. 1 GVG vor die Kammer für Handelssachen.
Rz. 23
Weitere Voraussetzung des § 343 Abs. 1 HGB ist, dass derjenige, der das Geschäft tätigt, grds. Kaufmann sein muss. Ausnahmen sind im HGB ausdrücklich genannt. So gelten die §§ 343–372 HGB beim Kommissionsgeschäft (§ 383 Abs. 2 Satz 2 HGB), beim Frachtgeschäft (§ 407 Abs. 3 Satz 3 HGB), beim Speditionsgeschäft (§ 453 Abs. 3 Satz 2 HGB) und beim Lagergeschäft (§ 467 Abs. 3 Satz 2 HGB) – mit Ausnahme der §§ 348–350 HGB – auch für nicht eingetragene Kleingewerbetreibende.
Rz. 24
Ob ein Rechtsscheinskaufmann ein Handelsgeschäft getätigt hat, muss nach seinem Auftreten im Einzelfall entschieden werden. I.d.R. wird jemand, der durch sein Auftreten den Rechtsschein eines Kaufmanns erzeugt, auch den Anschein eines Handelsgeschäfts und nicht den eines Privatgeschäfts erwecken.
Rz. 25
Je nachdem, ob von den Beteiligten eine Partei oder beide Parteien Kaufleute sind, spricht das Gesetz vom einseitigen Handelsgeschäft oder vom beiderseitigen Handelsgeschäft.
Rz. 26
Die Vorschriften über Handelsgeschäfte gelten grds. für beide Parteien, auch wenn es sich nur um ein einseitiges Handelsgeschäft handelt (§ 345 HGB). In diesen Fällen gelten die besonderen Vorschriften des HGB auch für den Beteiligten, der kein Kaufmann ist. Wenn z.B. eine Privatperson im Supermarkt einkauft, liegt ein Handelskauf vor, mit der Folge, dass die Vorschriften über den Handelskauf (§§ 373 ff. HGB) – mit Ausnahme der §§ 377, 379 HGB – Anwendung finden. Wenn etwa der Käufer mit der Annahme der Ware im Verzug ist, gelten die besonderen Vorschriften des HGB über den Annahmeverzug (§§ 373, 374 HGB).
Rz. 27
Die Anwendung einiger namentlich aufgeführter Vorschriften des HGB hängt beim einseitigen Handelsgeschäft davon ab, dass eine bestimmte Partei Kaufmann sein muss. Dies gilt etwa für die kaufmännische Sorgfaltspflicht nach § 347 HGB ("… das auf seiner Seite ein Handelsgeschäft ist …"), bei der Vertragsstrafe nach § 348 HGB ("… von einem Kaufmann … versprochen …"), bei dem Ausschluss der Einrede der Vorausklage nach § 349 HGB ("… wenn die Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft ist …") und für die Fälle, bei denen Bürgschaft, Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis nach § 350 HGB formfrei abgegeben werden können ("… auf der Seite des Bürgen [bzw.] des Schuldners ein Handelsgeschäft ist …").
Der Geschäftsführer einer werbenden GmbH ist weder Kaufmann i.S.d. §§ 1 ff. HGB noch Unternehmer i.S.d. § 14 BGB. Nur die GmbH selbst ist nach § 13 Abs. 3 GmbHG, § 6 Abs. 1 HGB Kaufmann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Geschäftsführer Inhaber aller oder einiger GmbH-Geschäftsanteile ist, weil die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zur reinen Vermögensverwaltung zählt. Aus diesem Grund stellt die Übernahme einer Bürgschaft durch den Geschäftsführer-Gesellschafter einer GmbH für deren Verbindlichkeiten nach ständiger höchstrichterlicher Rspr. kein Handelsgeschäft i.S.d. § 350 HGB dar. Diese Rspr. hat zur Konsequenz, dass die Vorschriften des Verbraucherdarlehensrechts des BGB auf die Mithaftungsübernahme des geschäftsführenden Allein- oder Mehrheitsgesellschafters einer GmbH anzuwenden sind.
Rz. 28
Sofern die Anwendbarkeit der allgemeinen bzw. besonderen Regeln über Handelsgeschäfte ein beiderseitiges Handelsgeschäft voraussetzt, ist dies im Gesetz ebenfalls ausdrücklich geregelt. Ein solches beiderseitiges Handelsgeschäft verlangt das Gesetz etwa, wenn die besonderen Vorschriften des Gewährleistungsrechts nach § 377 HGB zur Anwendung kommen sollen ("[…] ist der Kauf für beide Teile ein Handelsgeschäft […]"). Auch die Vorschriften über das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht (§§ 369 ff. HGB) setzen voraus, dass auf beiden Vertragsseiten Kaufleute beteiligt sind und es sich somit um beiderseitige Handelsgeschäfte handelt ("[…] aus den zwischen ihnen geschlossenen beiderseitigen Handelsgeschäften […]").