Rz. 115
Die Rügeobliegenheit beim beiderseitigen Handelskauf ist in § 377 HGB geregelt. § 377 HGB lässt die allgemeinen kaufrechtlichen Mängelansprüche (§ 437 BGB) inhaltlich unberührt und regelt nur den Fall, dass beim beiderseitigen Handelskauf der Käufer nicht unverzüglich rügt. Der Schutzzweck des § 377 HGB besteht darin, den Verkäufer vor der Inanspruchnahme und vor Beweisschwierigkeiten auch nach längerer Zeit wegen dann nur noch schwer feststellbarer Mängel zu bewahren und so auch im Interesse des Käufers, nämlich durch eine sachgerechte Risikoverteilung zwischen beiden Vertragsteilen, die Einfachheit und Schnelligkeit im Handelsverkehr zu fördern. Die Vorschrift des § 378 HGB, durch die der Anwendungsbereich des § 377 HGB auf Falschlieferungen und Mengenfehler ausgedehnt wurde, soweit die gelieferte Ware nicht derart offensichtlich von der Bestellung abwich, dass der Verkäufer ihre Genehmigung als ausgeschlossen betrachten musste, wurde durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz aufgehoben.
Rz. 116
§ 377 HGB ist, wie oben bereits angedeutet, nur anwendbar, wenn ein beiderseitiger Handelskauf vorliegt, also sowohl Verkäufer als auch Käufer Kaufleute nach § 1 HGB sind und den Kauf im Rahmen ihres Handelsgewerbes tätigen (§ 343 HGB). Teilweise wird die Auffassung vertreten, § 377 HGB sei im Wege der Analogie auf nicht zweiseitige Handelskäufe anzuwenden, wenn auf beiden Seiten zumindest ein nichtkaufmännischer Unternehmer beteiligt sei, namentlich also Freiberufler, wie z.B. Rechtsanwälte oder Ärzte. Die herrschende Meinung lehnt diese Analogie ab. Analog anwendbar ist § 377 HGB im Fall einer als Bau-ARGE tätigen GbR.
Beim Leasinggeschäft ist nach der Rspr. auf das Verhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Leasinggeber (Käufer) abzustellen, wohingegen es nicht darauf ankommt, ob der Leasingnehmer Kaufmann ist.
Für die Anwendbarkeit des § 377 HGB beim Streckengeschäft (bei dem der Verkäufer unmittelbar an einen Abnehmer des Käufers liefert) ist nach ganz herrschender Meinung die Kaufmannseigenschaft des Käufers und nicht eine etwaige Kaufmannseigenschaft des direkt belieferten Abnehmers maßgeblich. Der Käufer hat dafür zu sorgen, dass der Abnehmer die Ware unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) untersucht und ihn so schnell wie möglich von dem Ergebnis der Untersuchung in Kenntnis setzt. Der Rügezeitraum des Käufers verlängert sich in diesem Fall lediglich um die Zeit, die für die Übermittlung der Mitteilung des Abnehmers an den Käufer erforderlich ist. Das Risiko einer Verspätung trägt allein der Käufer, und zwar auch dann, wenn der Abnehmer selbst Kaufmann ist.
Rz. 117
Nach § 377 Abs. 1 HGB i.V.m. § 381 Abs. 1 HGB muss es sich um ein Handelsgeschäft über Waren oder Wertpapiere handeln. Daraus schlussfolgert die wohl herrschende Meinung, dass Unternehmenskäufe – und zwar unabhängig davon, ob in der Form des asset deal oder des share deal – nicht unter den Anwendungsbereich des § 377 HGB fallen. Auch Immobilienkaufverträge werden nach herrschender Meinung nicht von § 377 HGB erfasst.
Rz. 118
Die Rügeobliegenheit des Käufers besteht nur unter folgenden Voraussetzungen:
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Die verkaufte Ware muss durch den Verkäufer abgeliefert worden sein. Dies bedeutet, dass der Käufer oder eine von ihm benannte Person in eine solche räumliche Beziehung zur Ware tritt, dass deren Beschaffenheit nachgeprüft werden kann. Eine Ablieferung liegt grds. nur dann vor, wenn die Ware zur Erfüllung des Kaufvertrages vollständig in den Machtbereich des Käufers verbracht worden ist. Eine Ablieferung ist demnach nicht gegeben, wenn etwa eine Computeranlage ohne Handbücher ausgeliefert wird, weil in einem solchen Fall keine vollständige Leistung erfolgt ist. Da die Nachlieferung als selbstständige Lieferung anzusehen ist, greift § 377 HGB auch für die Nachlieferung ein. |
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Die Ware muss mangelhaft sein. Was unter "Mangel" zu verstehen ist, wird in § 377 HGB nicht näher bestimmt. Maßgeblich für die Rügeobliegenheit des § 377 HGB ist der allgemeine Mangelbegriff des BGB. |
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Die Rügeobliegenheit entfällt, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 377 Abs. 5 HGB). |
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Die Rügeobliegenheit entfällt auch dann, wenn der Verkäufer darauf verzichtet hat. Ein genereller Ausschluss in allgemeinen Geschäftsbedingungen verstößt jedoch gegen § 310 Abs. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn er sich auch auf offene Mängel bezieht. |
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Verletzt hat der Käufer seine Rügeobliegenheit nur dann, wenn er keine inhaltlich ausreichende Rüge und/oder diese nicht rechtzeitig vorgenommen hat. Was den Inhalt anbelangt, muss der Verkäufer der – formlos, also auch mündlich oder fernmündlich, möglichen – Anzeige Art und Umfang der Mängel entnehmen können. Es genügt somit keine Mitteilung, die nur schlechthin auf die Mangelhaftigkeit hinweist, wie z.B. mit den Begriffen "unbrauchbar" oder "mangelhaft". Erforderlich ist vielmehr, dass die Mängelanzeige Art und Umfang |