Dr. Maximilian Kübler-Wachendorff
A. Überblick über die Rechtsquellen
Rz. 1
Das internationalen Erbverfahrensrecht ist aus deutscher Sicht in den folgenden Normkomplexen geregelt:
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die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO); |
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die Durchführungsverordnung (EuErbVO-Formblätter); |
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das deutsche Internationale Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG); |
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die internationalen Staatsverträge mit Drittstaaten, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist; |
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die übrigen Vorschriften des deutschen Verfahrensrechts. |
In verfahrensrechtlicher Hinsicht enthält die EuErbVO vor allem in Kapitel II Vorschriften über die internationale Zuständigkeit (Art. 4–19), in Kapitel IV über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen (Art. 39–58) und in Kapitel V über die Annahme öffentlicher Urkunden und gerichtlicher Vergleiche (Art. 59–61). Die Durchführungsverordnung zur Festlegung der Formblätter enthält in der Anlage die Formblätter, die für die in Art. 1 der Verordnung bezeichneten Bescheinigungen und Anträge nach der EuErbVO zu verwenden sind.
Rz. 2
Die EuErbVO ist nach Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen Mitgliedstaaten der EU (Art. 52 EUV) unmittelbar geltendes Recht. Sie gilt jedoch nicht in Dänemark, da Dänemark nicht an der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen teilnimmt. Die Verordnung gilt auch nicht in Irland, da Irland keinen Opt-In zu der EuErbVO erklärt hat. In Bezug zum Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland gilt die Verordnung nicht, da das Vereinigte Königreich nach dessen Austritt aus der EU kein Mitgliedstaat i.S.v. Art. 52 EUV mehr ist.
Rz. 3
Art. 83 Abs. 1 EuErbVO regelt auch für die verfahrensrechtlichen Vorschriften den intertemporalen Anwendungsbereich. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften der EuErbVO finden wie die kollisionsrechtlichen Vorschriften nur dann Anwendung, wenn ein Erblasser am oder nach dem 17.8.2015 verstorben ist. Für Altfälle gelten daher die autonomen Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten fort (hierzu Rdn 84 ff.).
Rz. 4
Für Erbverfahren im Anwendungsbereich der EuErbVO regelt das IntErbRVG weitere Verfahrensfragen, die nicht unmittelbar in der EuErbVO geregelt sind. Soweit das IntErbRVG keine Vorschriften enthält, gelten die übrigen Bestimmungen des deutschen Verfahrensrechts.
Rz. 5
Nach Art. 75 Abs. 1 EuErbVO lässt die EuErbVO die Anwendung internationaler Übereinkommen unberührt, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören und die Bereiche betreffen, die in der EuErbVO geregelt sind. Aus deutscher Sicht betrifft dieser Vorrang die Zuständigkeitsvorschiften des Deutsch-Türkischen Nachlassabkommens vom 28.5.1929.
B. Internationale Zuständigkeit nach der EuErbVO
I. Anwendungsbereich der Art. 4 ff. EuErbVO
Rz. 6
Für Verfahren, die in den Anwendungsbereich der EuErbVO fallen, regeln die Art. 4 ff. EuErbVO die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte. Wie auch bei sonstigen europäischen Rechtsakten muss die Auslegung der von der EuErbVO verwendeten Systembegriffe autonom erfolgen. Ein Rückgriff auf ein nationales Begriffsverständnis ist damit grundsätzlich nicht möglich.
Rz. 7
Die Zuständigkeitsvorschriften der Art. 4 ff. EuErbVO beziehen sich auf "Entscheidungen in Erbsachen". Der Begriff der "Erbsache" ist nicht legal definiert. Er erfasst sämtliche Entscheidungen, die ...