Rz. 65
Beispiel
Reparaturkosten laut Gutachten, brutto |
3.500 EUR |
zzgl. merkantile Wertminderung |
300 EUR |
Reparaturaufwand, brutto |
3.800 EUR |
Wiederbeschaffungswert, brutto |
5.500 EUR |
abzgl. Restwert, brutto |
2.500 EUR |
Wiederbeschaffungsaufwand, brutto |
3.000 EUR |
Rz. 66
Liegt der Reparaturaufwand über dem Wiederbeschaffungsaufwand, jedoch unterhalb des Wiederbeschaffungswertes, liegt ein sog. 100-%-Fall vor, da der Reparaturaufwand 100 % des Wiederbeschaffungswertes nicht überschreitet. Nach der Definition des BGH liegt in diesem Fall noch kein wirtschaftlicher Totalschaden vor, weil der Reparaturaufwand noch unterhalb des Wiederbeschaffungswertes (ohne Abzug des Restwerts) liegt. Dennoch ist bei dieser Konstellation die Ersatzbeschaffung bereits wirtschaftlich günstiger als die Reparatur des Fahrzeugs, sodass es vom weiteren Verhalten des Geschädigten abhängt, ob er einen höheren Schadensersatz als den Wiederbeschaffungsaufwand erhält.
a) Konkrete Abrechnung des tatsächlichen Reparaturaufwandes
Rz. 67
Wenn der Geschädigte sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, kann er den tatsächlichen Reparaturaufwand konkret abrechnen. In diesem Fall spielt es keine Rolle, ob der Geschädigte das Fahrzeug weiternutzt oder unmittelbar nach der Reparatur verkauft (BGH v. 5.12.06 – VI ZR 77/06 – VersR 2007, 372 = zfs 2007, 328 = r+s 2007, 122 = DAR 2007, 201 = NZV 2007, 180; BGH v. 23.11.2010 – VI ZR 35/10 – VersR 2011, 280 = zfs 2011, 264; Wellner, Kfz-Schadensabrechnungs-Übersicht, NZV 2007, 401, 402). Es schadet auch nicht, wenn der Geschädigte bereits zum Zeitpunkt der Reparatur beabsichtigte, das Fahrzeug anschließend zu verkaufen (z.B. Inzahlungnahme nach Reparatur durch den Händler). Dies folgt daraus, dass es sich um einen Fall der konkreten Abrechnung der tatsächlich entstandenen Reparaturkosten handelt und der Geschädigte bereits durch die Reparatur sein Integritätsinteresse nachgewiesen hat (so LG Nürnberg-Fürth zfs 2007, 444, 445 f.; vgl. Schneider, in: Berz/Burmann, Kap. 5 A Rn 18). Dementsprechend bedarf es gerade nicht der sechsmonatigen Weiternutzung des Fahrzeugs nach dem Unfall, wie vom BGH lediglich für den Fall der fiktiven Abrechnung gefordert (BGH VersR 2006, 989 = NZV 2006, 459 = r+s 2006, 343 m. Anm. Lemcke = zfs 2006, 625 m. Anm. Diehl; BGH v. 23.11.2010 – VI ZR 35/10 – VersR 2011, 280 = zfs 2011, 264).
Rz. 68
Beispiel
In dem vorigen Beispiel (siehe Rdn 65) erhält der Geschädigte folglich den Reparaturaufwand ersetzt, aufgrund der konkreten Abrechnung unter Vorlage der Reparaturrechnung brutto in Höhe von 3.800 EUR (einschließlich der tatsächlich entstandenen Mehrwertsteuer).
Rz. 69
Repariert der Geschädigte in Eigenregie und rechnet nicht konkret aufgrund einer vorgelegten Reparaturrechnung ab, so bleibt es beim nachfolgend (siehe Rdn 70 ff.) erörterten Erfordernis der mindestens sechsmonatigen Weiternutzung des Fahrzeugs (BGH v. 29.4.2008 – VI ZR 220/07 – VersR 2008, 839 = zfs 2008, 503 = DAR 2008, 387 m. Anm. Schneider, jurisPR-VerkR 12/2008 Anm. 2; BGH v. 23.11.2010 – VI ZR 35/10 – VersR 2011, 280 = zfs 2011, 264) für eine Abrechnung des über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden Reparaturaufwandes.
b) Weiternutzung des Fahrzeugs für mindestens sechs Monate
Rz. 70
Auch wenn der Geschädigte nicht konkret tatsächlich entstandene Reparaturkosten abrechnet, kann er den über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden Reparaturaufwand fiktiv abrechnen, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten weiternutzt. Der BGH verlangt in diesem Fall lediglich eine ggf. zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Fahrzeugs erforderliche Teilreparatur, ohne dass es auf die Qualität dieser Reparatur ankommt (BGH VersR 2003, 918 = NZV 2003, 371; VersR 2006, 989 = NZV 2006, 459 = r+s 2006, 343 m. Anm. Lemcke = zfs 2006, 625 m. Anm. Diehl; BGH v. 23.11.2010 – VI ZR 35/10 – VersR 2011, 280 = zfs 2011, 264; KG VersR 2018, 758; Wellner, Kfz-Schadensabrechnungs-Übersicht, NZV 2007, 401, 402; Schneider, in: Berz/Burmann, Kap. 5 A Rn 22). Nach OLG Karlsruhe (Urt. v. 12.5.2009 – 4 U 173/07 – NJW-RR 2010, 96) genügt sogar die Wiederherstellung einer "Verkehrstauglichkeit" des Fahrzeugs, ohne dass eine Verkehrssicherheit i.S.d. StVZO zu verlangen wäre (vgl. dazu Meinel, zfs 2009, 669). Eines Nachweises über die Kosten der Reparatur bedarf es nicht; zu den für eine sach- und fachgerechte Reparatur erforderlichen Kosten muss der Geschädigte erst dann vortragen, wenn das zur Grundlage seiner fiktiven Abrechnung gemachte Sachverständigengutachten unzureichend ist (KG VersR 2018, 758).
Rz. 71
Beispiel
In dem vorigen Beispiel (siehe Rdn 65) erhält der Geschädigte auch in diesem Fall den Reparaturaufwand ersetzt, bei fiktiver Abrechnung ohne tatsächliche Reparatur jedoch lediglich netto, d.h. in Höhe von 3.800 EUR abzüglich der in den Reparaturkosten enthaltenen Mehrwertsteuer.
Rz. 72
Beim Erfordernis der mindestens sechsmonatigen Weiternutzung bleibt es auch, wenn der Geschädigte das Fahrzeug in Eigenregie repariert, solange er nicht konkret aufgrund einer vorgelegten Reparaturrechnung abrechnet (BGH v. 29.4.200...