Rz. 16
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist grundsätzlich berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen, es sei denn, er beachtet nicht das Erforderlichkeitspostulat und die Schadensminderungspflicht.
Rz. 17
Die Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens wird von den Versicherern, aber auch in der Rechtsprechung immer wieder verneint, wenn ein so genannter Bagatellschaden vorliegt. Diese Bagatellschadensgrenze wird von der Rechtsprechung zur Zeit noch bei 500 bis 1.000 EUR angesetzt (z.B. OLG Hamm VersR 1977, 232; LG Arnsberg NZV 2017, 389; AG Bonn zfs 1996, 55; AG Frankfurt zfs 1997, 333; AG Berlin-Mitte DAR 1998, 73; AG Chemnitz DAR 1998, 74; AG Rostock zfs 1999, 422; AG Nürnberg zfs 1999, 517; AG Leverkusen DAR 1999, 368; AG Mainz zfs 2002, 74), sollte aber nach der Empfehlung des Arbeitskreises V des 34. Verkehrsgerichtstages 1996 auf 3.000 DM (1.500 EUR) angehoben werden.
Rz. 18
Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist dem Geschädigten dann vorzuwerfen, wenn die Geringfügigkeit des Fahrzeugschadens offensichtlich ist (AG Detmold zfs 1997; AG Berlin-Mitte DAR 1998, 73). Bei unklarem Schadensumfang ist der Geschädigte in jedem Falle berechtigt, einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Schadens zu beauftragen (AG Mainz NZV 2002, 193; AG Dresden zfs 2004, 314). Da für einen Laien nur in den allerseltensten Fällen auszuschließen sein wird, dass ein höherer als ein Bagatellschaden gegeben ist, wird es auch nur selten vorkommen, dass der Laie nicht auf die Begutachtung durch einen Sachverständigen zurückgreifen darf (Janeczek, Anmerkung zu AG Dresden, zfs 2004, 314). Auch hier trägt das Prognoserisiko allein der Schädiger!
Rz. 19
Allerdings macht die Abhängigkeit einer solchen Grenze von der Erkennbarkeit des Schadenumfangs seitens des Geschädigten deutlich, dass die Bagatellgrenze nicht zu hoch angesetzt werden sollte. Eine feste Grenze vorzugeben setzt voraus, dass ein Laie die sichere Gewissheit haben muss, dass der Schaden mit einem Aufwand unterhalb der Bagatellgrenze behoben werden kann. Diese Einschränkung ergibt sich aus dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung. Ist der Schadensumfang also unter Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten unklar, der Geschädigte also subjektiv nicht in der Lage, den Schadensumfang verlässlich abzuschätzen, kann es keine Bagatellgrenze geben.
Rz. 20
Da bei einem Unfall stets äußerlich nicht erkennbare Stauchungen und Verformungen eingetreten sein können, deren Umfang und Tragweite in Bezug auf tragende Teile des Fahrzeuges und deren Schadensbehebungsaufwand von einem Laien und oft auch von Fachleuten grundsätzlich nicht zuverlässig abschätzbar sind, erscheint eine strikte Grenzziehung daher verfehlt (Diehl, Anmerkung zu AG Dresden, zfs 2004, 314 f.).
Rz. 21
Die Verweisung des Geschädigten auf die Einholung eines (kostengünstigeren) Kostenvoranschlags geht oft ins Leere. Tatsächlich fehlt dem Geschädigten nämlich oft die realistische Möglichkeit, statt der Einholung eines Sachverständigengutachtens einen Kostenvoranschlag zu beschaffen. Lehnt nämlich die Werkstatt die Erstellung eines Kostenvoranschlages ab, z.B. wegen des damit verbundenen Haftungsrisikos wegen verdeckter Schäden (AG Dortmund zfs 2002, 178), wäre der Geschädigte bei Festlegung einer festen Bagatellgrenze schutzlos. Ihm wäre jede Möglichkeit eines Nachweises über die Schadenshöhe unmöglich. Demnach kann eine Bagatellgrenze allenfalls eine Richtlinie ohne feste Bindungswirkung darstellen.
Rz. 22
Eine Bagatellschadensgrenze im Zusammenhang mit dem Recht, einen Sachverständigen beauftragen zu dürfen, hat sich gegenwärtig auf 750 EUR bis 1.000 EUR eingependelt, ist aber – aus den vorstehenden Gründen – immer wieder streitig.
Rz. 23
Oft liegt der Fall aber so, dass der Geschädigte die Schadenshöhe falsch, also vor allem zu hoch, einschätzt. Später stellt sich dann heraus, dass der Schaden unter der Bagatellschadensgrenze liegt. Dann wird seitens der Versicherer oft ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht eingewandt.
Rz. 24
Ein Verstoß gegen die dem Geschädigten obliegende Schadensminderungspflicht liegt bei Erteilung eines Gutachtenauftrages jedoch nur vor, wenn die Geringfügigkeit des Fahrzeugschadens sozusagen ins Auge springt, er also keinen vernünftigen Zweifel haben konnte, dass die Bagatellgrenze nicht überschritten werde (Diehl, Anmerkung zu AG Sömmerda, zfs 2002, 443). Angesichts der geringen Sachkunde eines Laien bei der Beurteilung der Kosten eines Schadens ist dieser schnell überfordert (AG Detmold zfs 1997, 297; AG Regensburg zfs 1996, 134; AG Bonn zfs 1996, 55; AG Berlin-Mitte DAR 1998, 73). Bei unklarem Schadensumfang ist der Geschädigte in jedem Falle berechtigt, einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Schadens zu beauftragen (AG Mainz NZV 2002, 193; AG Hannover zfs 2002, 581).
Rz. 25
Von einer Geringfügigkeit des Schadens ist nur bei Vorliegen offensichtlich oberflächlicher Schäden, nicht dagegen z.B. bei Auffahrunfäll...