Rz. 364

Neuwertigkeit wird in der Rechtsprechung nur bei einem Alter von nicht mehr als einem Monat und einer Fahrleistung bis zu 1.000 km bejaht, auch wenn seit der Zulassung erst wenige Tage vergangen sind (BGH zfs 1982, 108 = NJW 1982, 433; zfs 1983, 268; VersR 2009, 1092, 1094; OLG Karlsruhe zfs 1992, 12; OLG Hamm VersR 1973, 1072; OLG Oldenburg zfs 1997, 136; OLG Hamm zfs 2000, 63; OLG Nürnberg NZV 2008, 559 = r+s 2009, 301; OLG Celle NZV 2013, 85).

 

Rz. 365

In Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung Neuwertigkeit bis zu 3.000 km angenommen (BGH NJW 1982, 433; KG zfs 1986, 365; OLG Hamm VersR 1986, 1196; OLG Celle NZV 2013, 85; LG Braunschweig DAR 2011, 332 trotz Fahrleistung von 2.000 km wegen Beschädigung sicherheitsrelevanter Teile und Wertminderung von 2.000 EUR), wenn besonders schwerwiegende Schäden und bleibende Mängel eingetreten sind.

 

Rz. 366

Bei einer Laufleistung zwischen 1.000 und 3.000 km kommt ein Neuwagenersatzanspruch nur dann in Betracht, wenn der frühere Zustand des Fahrzeuges durch eine Reparatur auch nicht annähernd wiederhergestellt werden kann (BGH zfs 1982, 108; 1984, 74; OLG Stuttgart zfs 1994, 49; OLG Hamm zfs 2000, 63) bzw. Teile beschädigt wurden, die für die Sicherheit des Fahrzeuges von besonderer Bedeutung sind und bei denen trotz Reparatur ein Unsicherheitsfaktor bleibt (LG Saarbrücken zfs 2002, 282).

 

Rz. 367

Das kann der Fall sein, wenn

sicherheitsrelevante Teile beschädigt sind und Unsicherheitsfaktoren bleiben;
nach durchgeführter Reparatur erhebliche Schönheitsfehler verbleiben (z.B. sichtbare Schweißnähte, nicht sauber schließende Fahrzeugtüren, sichtbare Restverformungen);
durch den Umfang der Beschädigung die Herstellergarantie zumindest beweismäßig gefährdet ist und der Haftpflichtversicherer des Schädigers nicht alsbald nach dem Unfall verbindlich seine Einstandspflicht für einen solchen Fall anerkennt.
 

Rz. 368

Das ist jedoch z.B. nicht der Fall, wenn nach dem spurlosen Auswechseln von zwei Türen nur noch geringfügige Karosseriearbeiten ausgeführt werden müssen (OLG Hamm NZV 2001, 478). Dabei kommt es also auf das Merkmal der "erheblichen Beschädigung" an (so auch OLG Oldenburg zfs 1997, 136). Bloße "Unlustgefühle" sind nicht ersatzfähig. Allerdings können auch irrationale Vorurteile schadensrechtlich relevant werden, wenn sie allgemein verbreitet sind und sich auf den Verkehrswert des Fahrzeuges auswirken (BGH NJW 1967, 1202).

 

Rz. 369

Die Möglichkeit folgenloser Schadensbeseitigung ist durch die Fortentwicklung der Reparatur- und Lackiertechnik so weit fortgeschritten, dass – wird auf die Einschätzung eines "verständigen Kraftfahrzeughalters" abgestellt – geringfügige Karosserie- oder Lackarbeiten an einem neuwertigen Fahrzeug nicht mehr ausreichen, um einen Neuwagenersatzanspruch zu bejahen.

 

Rz. 370

 

Tipp

Wenn ein Neuwagenersatzanspruch besteht, sollte immer sofort telefonischer Kontakt mit dem gegnerischen Versicherer aufgenommen werden, um zu klären, ob der Anspruch anerkannt wird (erfordert sofortiges Übermitteln des Sachverständigengutachtens über die Schadenshöhe an den Versicherer per Fax) und wie die Zeit bis zur Neulieferung überbrückt werden soll. Zu erörtern ist auch, durch wen die Restwertrealisierung und durch wen die Neubeschaffung erfolgen soll. Das Besprechungsergebnis sollte stets schriftlich per Fax bestätigt werden (vgl. § 8 Rdn 493 f.).

 

Rz. 371

Der Geschädigte ist zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, die Verwertung des verunfallten Neuwagens dem Schädiger bzw. seinem Versicherer zu überlassen. Der Schädiger/Haftpflichtversicherer hat – soweit bislang in der Rechtsprechung entschieden – gegen den Geschädigten keinen Anspruch auf Herausgabe des beschädigten Fahrzeuges (KG NJW-RR 1987, 16).

 

Rz. 372

Entgegen einiger Argumentationsversuche der Versicherer lässt sich ein solcher Anspruch nicht aus der Entscheidung des BGH in NJW 1983, 2694 herleiten, auch nicht, dass gar die Abrechnung auf Neuwagenersatzbasis von einer solchen Herausgabe abhängig ist. Der BGH hat nämlich in der genannten Entscheidung ausschließlich die Frage behandelt, ob der Geschädigte stets verpflichtet ist, sich den Restwert des Unfallfahrzeuges anrechnen zu lassen, oder ob er statt dessen berechtigt sein kann, dem Haftpflichtversicherer gegen Erstattung des vollen Neubeschaffungspreises das Fahrzeugwrack anzubieten. Daraus folgt aber keineswegs umgekehrt, dass der Versicherer in jedem Falle der Neuwagenabrechnung die Ersatzleistung nur gegen Rückgabe des unfallbeschädigten Fahrzeuges zu erbringen hat.

 

Rz. 373

Bei der Abrechnung ist ferner ein zu erzielender Preisnachlass (Rabatt) abzusetzen (OLG Karlsruhe DAR 1989, 106; OLG München VersR 1975, 916 – Werksangehörigenrabatt). Hier ist besonders auf die Schadensminderungspflicht des Geschädigten zu achten: Er muss alles daransetzen, mindestens den ortsüblichen Rabatt zu realisieren.

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