Rz. 209
Die Tabelle stammt allerdings aus dem Jahre 1962, also einer Zeit, als Kraftfahrzeuge noch bei weitem nicht so qualitativ gut und langlebig gebaut wurden wie heute. War seinerzeit die "Lebenserwartung" eines Pkw bei 100.000 km schon fast erreicht, sind heute Laufzeiten von 200.000 bis 300.000 km nichts Ungewöhnliches mehr. Die Tabelle ist also dringend reformbedürftig (so auch LG Oldenburg zfs 1990, 50; ebenso Hörl, Minderwert, zfs 1999, 47 m.w.N.; Diehl, Anm. zu AG Hamburg zfs 2014, 82). Sie muss sogar als für Pkw völlig überholt und hoffnungslos veraltet bezeichnet werden (Hörl, Anm. zu LG Köln, NZV 2001, 175).
Rz. 210
Das Hauptbedenken gegen eine allzu sehr schematisierende Berechnung ist darin begründet, dass bei der Tabelle Ruhkopf/Sahm nicht auf die konkrete Art der Beschädigung, z.B. Eingriff in tragende Teile, abgestellt wird und etwa der wesentlich ungefährlichere Austausch von beschädigten Teilen einer Korrektur des Gesamtgefüges gleichgestellt wird (Diehl, Anm. zu AG Karlsruhe, zfs 1998, 13).
Rz. 211
Die Rechtsprechung trägt den veränderten Umständen jedoch nur zögernd Rechnung, wie folgende Zitate zeigen:
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OLG Karlsruhe zfs 1990, 347: "Ein merkantiler Minderwert ist bei einem mehr als vier Jahre alten Pkw und einer Laufleistung von 100.000 km abzulehnen"; |
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OLG Frankfurt zfs 1984, 326; OLG Karlsruhe NZV 1990, 387 (acht Jahre alter Pkw DB 500 SEL): "Ein merkantiler Minderwert ist bei einem fünf Jahre alten Pkw und einer Laufleistung von mehr als 100.000 km abzulehnen" (so auch AG Münster zfs 2002, 527); |
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OLG Frankfurt DAR 2006, 23: Selbst bei hohem Reparaturkostenaufwand kein Minderwert, wenn das betroffene Fahrzeugmodell sehr gesucht und wertstabil ist; |
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a.A. AG Rostock DAR 2000, 169: "Auch bei einer Kilometerleistung von über 100.000 km kann ein Anspruch auf Wertminderung gegeben sein"; |
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a.A. auch AG Hohenstein-Ernstthal zfs 2001, 19: "Da auch bei einem älteren Fahrzeug Kaufinteressenten nach Unfallschäden fragen und nach mitgeteilten Unfallschäden einen Preisnachlass erwarten, kann bei einem mehr als fünf Jahre alten Fahrzeug ein merkantiler Minderwert zu berücksichtigen sein." |
Rz. 212
So finden sich doch mehrere von der noch immer auf Ruhkopf/Sahm fußenden, herrschenden Rechtsprechung abweichende Entscheidungen, die auch bei Fahrzeugen, die älter als fünf Jahre sind und mehr als 100.000 km gelaufen haben, einen merkantilen Minderwert zubilligen, insbesondere bei marktgängigen Fahrzeugen, bei denen der Markt einen Unfallschaden zum Anlass für einen Preisabschlag nimmt (z.B. OLG Düsseldorf DAR 1988, 159, LG Oldenburg NZV 1990, 76; LG Koblenz zfs 1990, 49; AG Essen zfs 1993, 337; AG München zfs 1998, 380). Das LG Berlin (NZV 2010, 36) hat einen merkantilen Minderwert bei einem 11 Jahre alten Fahrzeug mit einer Laufleistung von 183.000 km angenommen, das AG Hamburg (zfs 2014, 82) bei einem sieben Jahre alten Dieselfahrzeug mit einer Laufleistung von 195.000 km, das OLG Oldenburg (DAR 2007, 522) bei einem zwar noch nicht vier Jahre alten Fahrzeug, allerdings mit einer Laufleistung von über 195.000 km. Nach AG Achern (NZV 2010, 302) kann die o.g. Tabelle auf Fahrzeuge, die älter als 4 Jahre sind, in angemessener Weise übertragen werden.
Rz. 213
Der BGH hat leider auch in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2004 (BGH zfs 2005, 127, 129) über diese Frage noch nicht zu entscheiden brauchen, ließ aber wohl durchblicken, dass er in einem geeigneten Fall geneigt ist, die Grenzen nach oben hin deutlich zu öffnen. So lässt er sich schon darüber aus, dass sich die Bedeutung der Langlebigkeit der heutigen Kraftfahrzeuge maßgeblich auf die Bewertung auf dem Gebrauchtwagenmarkt auswirkt und insoweit bereits ein Wandel gegenüber der Situation früherer Rechtsprechung festgestellt werden kann. In der genannten Entscheidung stellt er vielmehr im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens gem. § 287 ZPO auf den Einzelfall ab und hat es insoweit nicht beanstandet, bei einem in gutem Pflegezustand befindlichen, 16 Jahre alten Pkw mit einer Laufleistung von 164.000 km und einem Wiederbeschaffungswert von 2.100 EUR keinen merkantilen Minderwert mehr zuzuerkennen.
Rz. 214
Insbesondere bei Fahrzeugen der Luxusklasse ist daher auch der Schätzung eines Sachverständigen der Vorrang vor tabellarischen Berechnungsmethoden zu geben (OLG Köln NZV 1992, 404), weil Luxusfahrzeuge in jedem Falle langlebiger sind als z.B. Kleinfahrzeuge (so auch LG Oldenburg zfs 1999, 335).