Rz. 7
Grundlage jeglicher Schadensermittlung zum unmittelbaren Fahrzeugschaden sollte regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens sein. Dessen Feststellungen sind entscheidend für die Frage, ob der Geschädigte die erforderlichen Reparaturkosten abrechnen darf oder lediglich eine Abrechnung auf Wiederbeschaffungsbasis möglich ist.
Rz. 8
Soll fiktiv abgerechnet werden, muss die Höhe des Schadensersatzes ohnehin auf anderem Wege als durch Vorlage einer Reparaturrechnung erfolgen. In Betracht kommt die Vorlage eines Sachverständigengutachtens (BGH NJW 1989, 3009 ff.) oder eines Kostenvoranschlages.
I. Nachweis durch Sachverständigengutachten
1. Allgemeines
Rz. 9
Das Sachverständigengutachten nach einem Verkehrsunfall hat zwei Funktionen:
▪ |
Beweisfunktion: Das Sachverständigengutachten dient dem Beweis der unfallbedingten Fahrzeugschäden. |
▪ |
Schadensfeststellungsfunktion: Mit Hilfe der gutachterlichen Feststellungen können die notwendigen Reparaturkosten und deren Umfang bzw. der Wiederbeschaffungsaufwand bestimmt werden. |
Das Sachverständigengutachten ist in jedem Falle ein Parteigutachten. So lange von der Gegenseite keine konkreten Einwände gegen die Richtigkeit des Gutachtens erhoben werden, haben die Gerichte von der Richtigkeit des Sachverständigengutachtens auszugehen (LG Berlin DAR 1998, 354).
Rz. 10
Nach der Rechtsprechung (LG Kleve zfs 1999, 239; LG München SP 1996, 82) verhält es sich ebenso bei der Frage, ob der Geschädigte dulden muss, dass der Versicherer sein Fahrzeug nachbesichtigt bzw. ein Gegengutachten erstellt. Dieses ist nur dann für den Geschädigten verpflichtend, wenn der Versicherer beweisbare Mängel des Gutachtens aufzeigen kann.
a) Kaskoschäden (Sachverständigenverfahren nach AKB)
Rz. 11
Bei Kaskoschäden hat der Versicherer nach § 7 III sowie § 13 Abs. 7 S. 2 AKB bzw. A.2.8 sowie E.3.2 AKB 2008 das Recht, den Sachverständigen zu bestimmen (siehe auch Rdn 302 ff., § 13 Rdn 247).
Rz. 12
Besteht Uneinigkeit über die vom Sachverständigen geschätzte Höhe des Schadens, ist nach § 14 AKB bzw. A.2.17 AKB 2008 das dort geregelte "Sachverständigenverfahren" (vgl. dazu § 13 Rdn 268 f.) durchzuführen. Es entscheidet dann ein Sachverständigenausschuss, der aus zwei Mitgliedern besteht, von denen der Versicherer und der Versicherungsnehmer je eines benennt. Wenn der eine Vertragsteil innerhalb zweier Wochen nach schriftlicher Aufforderung sein Ausschussmitglied nicht benennt, so wird auch dieses von dem anderen Vertragsteil benannt.
Rz. 13
Soweit sich die Ausschussmitglieder nicht einigen, entscheidet ein von beiden zu wählender Obmann. Einigen sich die beiden Sachverständigen nicht auf einen Obmann, wird dieser durch das zuständige Amtsgericht ernannt.
Rz. 14
Bewilligt der Sachverständigenausschuss die Forderung des Versicherungsnehmers, so hat der Versicherer die Kosten aller drei Sachverständigen voll zu tragen. Kommt der Ausschuss zu einer Entscheidung, wonach die von dem Versicherer angebotene Schadenssumme ausreicht, zahlt der Versicherungsnehmer die Kosten des Sachverständigenverfahrens in vollem Umfange. Liegt die Entscheidung – wie übrigens meistens – irgendwo dazwischen, so tritt eine verhältnismäßige Verteilung der Kosten ein.
Rz. 15
Das Sachverständigenverfahren nach § 14 AKB bzw. A.2.17 AKB 2008 zu betreiben, macht in der Praxis meist keinen Sinn. Kaum ein Rechtschutzversicherer deckt die mit einem solchen Verfahren verbundenen Kosten ab (Ausnahme: ADAC-Rechtsschutz, vgl. unten Rdn 308). Da meist die Entscheidung durch den Obmann fällt und dann die Kosten verhältnismäßig geteilt werden, ist der durch das Verfahren gewonnene wirtschaftliche Vorteil meist durch die mit dem Verfahren verbundenen Kosten wieder kompensiert oder die Kosten übertreffen sogar den Vorteil.
Tipp
Das Sachverständigenverfahren nach § 14 AKB bzw. A.2.17 AKB 2008 ist in aller Regel unwirtschaftlich, d.h. es kostet meist mehr als es bringt.
Beachte
Die Durchführung des Sachverständigenverfahrens ist Fälligkeitsvoraussetzung, sodass eine Klage bei Streit über die Höhe der Entschädigung zuvor unbegründet ist, selbst wenn der Versicherer sich erst im Prozess darauf beruft!
Ein selbstständiges Beweisverfahren soll dagegen zulässig sein (LG München I NJW-RR 1994, 216).
Gem. A.2.6 der neuesten AKB 2015 ist das Sachverständigenverfahren nicht mehr obligatorisch und damit keine Fälligkeitsvoraussetzung mehr, sondern lediglich auf Wunsch des Versicherungsnehmers durchzuführen. Entsprechend kann auch bei Streit über die Höhe der Kaskoentschädigung nach den neuen Bedingungen sofort Klage erhoben werden!
b) Haftpflichtschäden (Bagatellgrenze)
Rz. 16
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist grundsätzlich berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen, es sei denn, er beachtet nicht das Erforderlichkeitspostulat und die Schadensminderungspflicht.
Rz. 17
Die Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens wird von den Versicherern, aber auch in der Rechtsprechung immer wieder verneint, wenn ein so genannter Bagatellschaden vorliegt. Diese Bagatellschadensgrenze wird von der Rechtsprechung zur Zeit noch bei 500 bis 1.000 EUR angesetzt (z.B. OLG Hamm VersR 1977, 232; LG Arnsberg...