Rz. 32
Der Geschädigte ist in der Auswahl des Sachverständigen frei. Er braucht sich nicht auf Anweisungen oder Empfehlungen der Versicherer oder Werkstätten einzulassen.
Rz. 33
Tipp
Bei der Auswahl sollte darauf geachtet werden, dass das Gutachten sowohl einer etwaigen gerichtlichen als auch einer Überprüfung durch die Gegenseite standhält. Um dieses sicherzustellen, sollte – es gibt kein einheitliches Berufsbild des Kfz-Sachverständigen, und die Bezeichnung ist auch nicht geschützt – stets ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger beauftragt werden. Nur von ihm kann größtmögliche Unabhängigkeit erwartet werden.
Rz. 34
Für ein Auswahlverschulden betreffend die fachliche Kompetenz des Sachverständigen hätte der Geschädigte einzustehen, weil er allein ihn ja auch ausgewählt hat, ohne dass der Schädiger eine Einflussmöglichkeit hatte. Ein solches Auswahlverschulden trifft ihn aber jedenfalls dann nicht, wenn er einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen beauftragt (AG Wiesbaden zfs 2001, 311).
Rz. 35
Aber auch der Versicherer hat jederzeit das Recht, ein eigenes Gutachten einzuholen. Verweigert der Geschädigte grundlos die Besichtigung durch den Versicherer, läuft er Gefahr, Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, z.B. das Tragen von dadurch bedingten Mehrkosten (BGH zfs 1984, 83), eine Regulierungsverweigerung oder -verzögerung seitens des Versicherers. Ebenso kann die vorprozessuale Verweigerung der Nachbesichtigung dazu führen, dass der Versicherer nach Erstattung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens noch "sofort anerkennen" kann i.S.d. § 93 ZPO mit Kostenlast des Geschädigten (OLG Saarbrücken NZV 2020, 88).
Rz. 36
Von Seiten der Versicherer wird immer wieder das Recht gefordert, das Fahrzeug nachbesichtigen zu dürfen. Einen solchen Anspruch haben der Schädiger und sein Versicherer nach anderer Meinung jedoch nicht (LG München zfs 1991, 123; LG Kleve zfs 1999, 239). Der Geschädigte darf sich vielmehr grundsätzlich auf die Richtigkeit des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens verlassen, jedenfalls dann, wenn es von einem vereidigten und öffentlich bestellten unabhängigen Sachverständigen stammt. Wird von einem Recht des gegnerischen Haftpflichtversicherers ausgegangen, eine Gegenüberstellung der Unfallfahrzeuge zu verlangen, ist der Geschädigte berechtigt, seinen Schadensgutachter zu der Gegenüberstellung hinzuzuziehen und die Kosten hierfür ersetzt zu bekommen (LG Hamburg DAR 2016, 139).
Rz. 37
Hat zunächst der Versicherer ein Gutachten eingeholt, beeinträchtigt das nicht das Recht des Geschädigten, ebenfalls ein eigenes Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen einzuholen, was sich bereits aus dem Grundsatz der Waffengleichheit ergibt (OLG Stuttgart NJW 1974, 951; KG VersR 1977, 229; LG Mannheim zfs 1980, 266; LG Essen v. 14.1.1981 – DAR 1981, 224; LG Stuttgart v. 19.11.1971 – 6 S 237/71 – VersR 1972, 698; AG Oldenburg in Holstein v. 22.4.2008 – 22 C 1021/07 – BeckRS 2008, 9416; Vuia, NJW 2013, 1197 mit weiteren Nachweisen). Die dadurch entstehenden Kosten sind dann gleichwohl uneingeschränkt von dem Versicherer des Schädigers zu erstatten. Anderer Ansicht nach besteht jedenfalls dann ein Recht des Geschädigten auf Einholung eines Zweitgutachtens, wenn ex ante Zweifel an der Objektivität des Gutachters und der Richtigkeit seiner Feststellungen bestehen, z.B. aufgrund mangelhafter Untersuchungen des Erstgutachters (unterbliebene Untersuchung auf der Hebebühne, unterbliebene Vermessung trotz des Verdachtes der Beschädigung der Hinterachse), fehlerhaft ermittelten Restwerts oder unvertretbar zu niedrig geschätzter Reparaturkosten (LG Bamberg zfs 2017, 498).
Rz. 38
Tipp
Im Falle der Alleinhaftung des Unfallgegners ist es ratsam, stets und so schnell wie möglich einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit der Schadensschätzung zu beauftragen, damit die erforderlichen Dispositionen umgehend getroffen werden können. Es dauert viel zu lange, erst auf die Begutachtung durch den gegnerischen Versicherer zu warten. Dessen Gutachten fallen außerdem oft sehr viel niedriger aus.