Rz. 1
In Bußgeldverfahren wird die Bestellung eines Pflichtverteidigers nur in wenigen Ausnahmefällen infrage kommen: Wie sich aus § 60 S. 1 OWiG ergibt, kann im Verfahren vor der Bußgeldbehörde dem Betroffenen ein Pflichtverteidiger grundsätzlich nur in den Fällen des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO, also wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, beigeordnet werden. Anders als im gerichtlichen Verfahren ist demnach im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde selbst einem inhaftierten Betroffenen (§ 140 Abs. 1 S. 5 StPO) ein Pflichtverteidiger nicht zu bestellen.
Rz. 2
Die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage wird indes in Bußgeldverfahren nur selten zu bejahen sein, denn die Entscheidung ist unter Berücksichtigung der eigenen Verteidigungsfähigkeit des Betroffenen und der Höhe der zu erwartenden Geldbuße oder der Bedeutung einer möglichen Nebenfolge zu treffen (OLG Stuttgart AnwBl 1982, 170).
Rz. 3
Im Hinblick auf die gem. § 17 OWiG bzw. §§ 24 Abs. 2, 24a Abs. 4 StVG der Höhe nach limitierten Bußgelder in OWi-Verfahren kommt die Bestellung eines Pflichtverteidigers alleine im Hinblick auf die Bußgeldandrohung in Verkehrssachen praktisch nie in Betracht. Das gilt auch, soweit ein Fahrverbot droht, zumal auch evtl. mittelbare Folgen einer Verurteilung, wie z.B. Maßnahmen der Verwaltungsbehörde aufgrund des Mehrfachtäterpunktsystems, hier meist unberücksichtigt bleiben. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn ein mehrmonatiges Fahrverbot - oder im Falle der Verurteilung zum verwaltungsrechtlichen Entzug der Fahrerlaubnis wegen Erreichens von 8 Punkten - zum Verlust des Arbeitsplatzes führen würde (LG Mainz DAR 2010, 58).
Rz. 4
Ansonsten kann die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ebenfalls ein Beiordnungsgrund sein, dies wird in Bußgeldverfahren jedoch nur in Ausnahmefällen angenommen werden können. Ein solcher Ausnahmefall liegt jedenfalls nicht in dem Umstand, dass die vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung mittels eines technischen Messverfahrens ermittelt wurde (LG Potsdam zfs 2019, 354), wohingegen das LG Verden (StraFo 2018, 69) einen Ausnahmefall nicht zuletzt im Hinblick auf die damit verbundenen schwierigen Rechtsfragen dann annimmt, wenn eine Dashcam als Entlastungsbeweis angeboten werden soll. Ansonsten ist die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nach den persönlichen Fähigkeiten des Betroffenen zu beurteilen, so ist z.B. bei einem Berufskraftfahrer regelmäßig davon auszugehen, dass er mit den Bußgeldvorschriften des Fahrpersonalgesetzes über Lenk- und Ruhezeiten vertraut ist (BayObLG VRS 91, 399).
Rz. 5
Dennoch muss in Ausnahmefällen ein Pflichtverteidiger bestellt werden, so z.B., wenn es auf die Kenntnis des Akteninhalts (z.B. wegen komplizierter Sachverständigengutachten) ankommt und dem Betroffenen nicht gem. § 49 Abs. 1 OWiG Akteneinsicht gewährt wird (OLG Düsseldorf VRS 83, 193).
Rz. 6
Die Frage, ob einem mittellosen, sprachunkundigen Ausländer in Bußgeldsachen ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist (bejahend OLG Köln NJW 1991, 2223), ist umstritten. Der BGH (NJW 2001, 309) jedenfalls handhabt sogar im Strafverfahren die Pflichtverteidigerbestellung im Hinblick darauf, dass ein sprachunkundiger Ausländer einen Anspruch auf die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers hat, sehr restriktiv.
Rz. 7
Einen Anspruch auf Beiordnung eines Verteidigers wird man allerdings einem inhaftierten Betroffenen nach § 140 Abs. Nr. 5 StPO zubilligen müssen (OLG Köln NZV 1999, 96), wohingegen Senge die Auffassung vertritt, dass bei einfach gelagerten Sachverhalten mit Bagatellcharakter, namentlich bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, eine Pflichtverteidigerbestellung regelmäßig nicht infrage komme.