Rz. 147

Das Konkurrenzverhältnis zwischen § 2316 BGB und § 2325 BGB ist noch nicht abschließend geklärt. Dies gilt zum einen für die Frage, ob ausgleichungspflichtige Zuwendungen, die zugleich Schenkungen sind (Übermaßausstattungen, ausgleichungspflichtige Schenkungen nach § 2050 Abs. 3 BGB), auch Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen können. Zum anderen gilt das für den Fall, wenn von mehreren Zuwendungen ein Teil nur ergänzungspflichtige Schenkungen sind, ein Teil nur ausgleichungspflichtige Vorempfänge.[422]

 

Rz. 148

Als Grundsatz ist hier anerkannt, dass Schenkungen an Abkömmlinge, die an der Erbausgleichung (§§ 2050 ff. BGB) teilnehmen, nicht nochmals nach §§ 2325 ff. BGB zu berücksichtigen sind, wenn sie bereits nach § 2316 BGB bei der Berechnung des Pflichtteils dem Nachlass hinzugerechnet wurden. Die Notwendigkeit dieses Verbots einer Doppelberücksichtigung ergibt sich daraus, dass beide Verfahren durch die Berücksichtigung der Zuwendung zu einer rechnerischen Erhöhung des tatsächlichen Nachlasses und damit des Pflichtteils führen.

 

Rz. 149

Jedoch muss man von diesem Grundsatz eine Ausnahme machen, und zwar für den "Zuvielbedachten"[423] bei einer Schenkung: Soweit eine ausgleichungspflichtige Zuwendung beim Ausgleichungspflichtigen nach § 2056 S. 1 BGB nicht zu berücksichtigen ist, weil es eben keine Herausgabepflicht für den Mehrempfang gibt, so kann der Ausgleichungsberechtigte eine Ergänzung seines verkürzten Ausgleichungspflichtteils nach § 2325 BGB verlangen, soweit es sich bei der "Mehrzuwendung" um eine Schenkung handelt. Denn die §§ 2316, 2056 BGB stellen insofern nach ganz überwiegender Ansicht keine lex specialis zu den Pflichtteilsergänzungsvorschriften dar.[424]

 

Rz. 150

Die Rechtsprechung und h.M. berechnen dabei so:[425]

(1) Schenkungen und ausgleichungspflichtige Vorempfänge werden zusammen dem Nachlass hinzugerechnet.
(2) Der so erhöhte Nachlass wird mit der Erbquote des Betreffenden multipliziert und sein Vorempfang abgezogen.
(3) Das Ergebnis wird halbiert.
(4) Hiervon wird der nicht ergänzte Pflichtteil abgezogen.
(5) Soweit infolge der Anwendung des § 2056 S. 1 BGB der Empfänger einer Zuwendung aus der Berechnung ausscheidet, findet § 2056 S. 2 BGB Anwendung, weshalb sich damit die Pflichtteilsquote der anderen Geschwister bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs erhöht.
 

Rz. 151

In einer Formel gefasst, berechnet auf den Gesamtpflichtteil (also ohne Rechenschritt Nr. 5), lässt sich dies wie folgt formulieren:[426]

Dabei ist: GPT die Gesamtpflicht, N der reale Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalls, S die Summe aller Schenkungen, Z die Summe sämtlicher ausgleichungspflichtiger Zuwendungen der Abkömmlinge, Q der Nenner des gesetzlichen Erbteils des Ergänzungsberechtigten und T die ausgleichungspflichtige Zuwendung des Pflichtteilsberechtigten.

 

Rz. 152

Durch die Verbreiterung der Berechnungsgrundlage zahlt der "zuviel Bedachte" also eher etwas an den Pflichtteilsberechtigten, als er dies bei der reinen Ausgleichsberechnung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB hätte tun müssen.[427] Und durch die Anwendung des § 2056 S. 2 BGB kann es zu einer wesentlichen Erhöhung der Pflichtteilsquote der weichenden Geschwister bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kommen. Das RG hatte demgegenüber eine getrennte Berechnung von Ausgleichungspflichtteil und Pflichtteilsergänzung vorgenommen.[428] Die Folgen können gravierend sein:

 

Rz. 153

Übersicht: Ausgleichungspflichtige Zuwendungen und Schenkungen – "Zurück zu RGZ 77, 282"[429]

 
Fall Lösung nach BGH Lösung nach RGZ 77, 282
 
1. Nachlass + Schenkung + Zuwendung
1. Höhe ordentl. Pflichtteil
2. multipliziert mit Erbquote
2. Nachlass + Schenkung × Pflichtteilsquote
3. abzüglich Vorempfänge
3. Diff. 2 – 1 = ergänzter Pflichtteil
4. geteilt durch 2
 
5. abzüglich nicht ergänzten Pflichtteil
 
1. RGZ 77, 282    
Nachlass: 0, 2 Kinder A (0 + 15.000 + 24.000) : 2 = (0 + 15.000) : 4 = 3.750
an A: reine Schenkung 15.000 19.500 – 24.000 = – 4.500  
ausgleichungspflichtige Zuwendung: 24.000 neue Rechnung:  
  15.000 × 1 × ½ = 7.500 Differenz: 3.750 weniger als Lösung BGH
2. BGH NJW 1988, 821    
Nachlass: 0, 3 Kinder 0 + 380.000 + 215.00 + 40.000 = 0 + 380.000 = 380.000 × 1/6 = 63.333,33
an A: reine Schenkung 380.000 635.000 : 3 = 211.666,67 – 255.000 =  
ausgleichungspflichtige Zuwendungen: 215.000 und 40.000 – 43.333,33  
  daher neue Rechnung:  
  380.000 × ¼ = 95.000 Differenz: 31.666,66 weniger als Lösung BGH
 

Rz. 154

 

Praxishinweis

Demnach können sich auch Pflichtteilsansprüche aus lebzeitigen Übertragungen jenseits der Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB ergeben! Bislang wurde bei der Erörterung der Pflichtteilsansprüche der "weichenden Geschwister" hinsichtlich lebzeitiger Zuwendungen fast immer nur auf die Pflichtteilsergänzungsansprüche nach §§ 2325 ff. BGB abgestellt. Der möglichst baldige Beginn der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB wurde angestrebt. Nicht gesehen wurde, dass die Wahrung der Pflichtteilsrechte der weichenden Geschwister primär...

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