Rz. 262
Bei zeitlich aufeinander folgenden Schenkungen haftet in erster Linie der zuletzt Beschenkte, der früher Beschenkte nur insoweit, als der später Beschenkte nicht verpflichtet ist (§ 2329 Abs. 3 BGB; Grundsatz der Posteriorität). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich mit zunehmendem Zeitablauf die Bestandskraft der Schenkung vergrößert.
Rz. 263
Maßgeblich für die zeitliche Einordnung der Schenkungen ist dabei deren Vollzugszeitpunkt, bei Grundstücken ist demnach der Tag der Grundbucheintragung des Eigentumswechsels entscheidend. Ist das Schenkungsversprechen zurzeit des Erbfalls noch nicht erfüllt, entscheidet der Zeitpunkt des Erbfalls.
Rz. 264
Praxishinweis
Auch wenn Grundstücksschenkungen am gleichen Tag beurkundet werden, kann sich wegen unterschiedlicher Vollzugszeiten beim Grundbuchamt eine unterschiedliche Haftung nach § 2329 Abs. 3 BGB ergeben.
Rz. 265
Die Vorschrift des § 2329 BGB ist alles andere als leicht verständlich und weist einige Problemstellungen auf, die nachstehend am besten anhand eines Beispiels erläutert werden sollen.
Beispiel
Der Erblasser hat den einzigen Pflichtteilsberechtigten P zum Alleinerben eingesetzt; der Nachlass ist wertlos. Vor dem Erbfall bekamen geschenkt:
▪ |
weniger als ein Jahr vorher 6.000 EUR S 1 (= später Beschenkter) |
▪ |
knapp zwei Jahre vorher 4.000 EUR S 2 (= früher Beschenkter). |
Nach § 2325 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 BGB wird die Schenkung an S 2 um 1/10 abgeschmolzen, beträgt also noch 3.600 EUR.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch beträgt (6.000 EUR + 3.600 EUR) : 2 = 4.800 EUR. Soweit S 1 zur Ergänzung verpflichtet ist, haftet der früher Beschenkte S 2 nicht. Ist S 1 aber nur noch zu 2.000 EUR bereichert, so haftet S 2 in Höhe des Restbetrages von 2.800 EUR.
Rz. 266
Umstritten und klärungsbedürftig ist zunächst, wann der später Beschenkte "nicht mehr verpflichtet" i.S.v. § 2329 BGB ist und daher die Haftung auf den früher Beschenkten übergeht. Nach der Rechtsprechung und ganz h.M. haftet der früher Beschenkte (also S 2) nur bei fehlender rechtlicher Zahlungsverpflichtung des später Beschenkten (also S 1), nicht aber bei dessen bloßer (tatsächlicher) Zahlungsunfähigkeit. Damit trägt das Insolvenzrisiko des später Beschenkten (S 1) allein der Pflichtteilsberechtigte, während der früher Beschenkte (S 2) sein Geschenk vollständig behalten kann. Die fehlende rechtliche Verpflichtung des später Beschenkten könnte sich auch aus der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB bzw. der Abschmelzregelung in § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB ergeben, während etwa der früher beschenkte Ehegatte sich nicht auf diese berufen kann, § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB.
Rz. 267
Des Weiteren ist der Beurteilungszeitpunkt zu klären: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, inwieweit der später Beschenkte (S 1) nicht verpflichtet ist und daher der früher Beschenkte (S 2) für einen Fehlbetrag haftet, ist der der Rechtshängigkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den später Beschenkten (§ 818 Abs. 4 BGB) oder ein früher liegender Zeitpunkt, in dem von dieser Verpflichtung haftungsverschärfend Kenntnis erlangt wurde (§ 819 Abs. 1 BGB). Das tatsächliche Ergebnis der Zwangsvollstreckung ist dabei für das "Bestehen der Verpflichtung" des später Beschenkten und daher für eine Haftungsverlagerung auf den früher Beschenkten ohne Belang. Der Pflichtteilsberechtigte kann gegen beide Beschenkte auf Leistung bzw. Duldung der Zwangsvollstreckung klagen; zweckmäßiger und möglich ist aber nur gegen den zunächst Beschenkten auf Leistung bzw. Duldung der Zwangsvollstreckung zu klagen, gegen den anderen nur auf Feststellung.