Rz. 112
Behält sich der Schenker einen Nießbrauch oder ein Wohnungsrecht am Schenkungsobjekt vor, so ist umstritten, ob dies den Schenkungswert mindert. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein vorbehaltenes dingliches Nutzungsrecht mit seinem kapitalisierten Wert nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen vom Schenkungswert absetzbar. Hierzu erfolgt eine mehrstufige Bewertung. Als Ausfluss des Niederstwertprinzips nimmt der BGH folgende mehrstufige, z.T. vergleichende Berechnung vor, die sich an einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise orientiert.
1. |
Feststellung des maßgeblichen Wertes nach dem Niederstwertprinzip:
1.1. |
Feststellung des Wertes zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung, umgerechnet nach den Grundsätzen über die Berücksichtigung des Kaufkraftschwunds (Inflationsbereinigung) auf den Tag des Erbfalls, jedoch ohne den Wert des vorbehaltenen Nutzungsrechts |
1.2. |
Gegenüberstellung des Wertes zum Zeitpunkt des Erbfalls |
1.3. |
Maßgebend ist dabei der geringere Wert (Niedrigstwertprinzip) |
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2. |
Ist der geringere Wert der Wert zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung, so ist der so ermittelte Wert aufzuteilen in den kapitalisierten Wert des dem Erblasser vorbehaltenen Nießbrauchs (Wohnungsrechts) einerseits und den Restwert des Grundstücks andererseits. Nur den so ermittelten Restwert des Grundeigentums hat der Erblasser aus seinem Vermögen ausgegliedert. Dieser ist sodann unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwunds auf den Todestag des Erblassers umzurechnen und unterliegt insoweit der Pflichtteilsergänzung. |
Rz. 113
Schenkungen können nach der ständigen Rechtsprechung des BGH im Rahmen der Pflichtteilsergänzung in solchen Fällen nur in dem Umfang in Ansatz gebracht werden, "in dem der Wert des weggeschenkten Gegenstandes den Wert der kapitalisierten verbliebenen Nutzung übersteigt". Wenn der Wert des Grundstücks im Zeitpunkt des Erbfalls der maßgebliche Wert ist, also etwa bei gesunkenen Grundstückswerten, bleibt der Wert des Nießbrauchs (Wohnungsrechts) völlig unberücksichtigt. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob sich der Schenker den Nießbrauch vorbehält, ob dieser eine Gegenleistung des Beschenkten ist oder als Auflage formuliert wird. Damit entscheidet letztlich das Niederstwertprinzip darüber, ob das vorbehaltene Nutzungsrecht in Abzug gebracht werden kann. Kann es aber berücksichtigt werden, so kann es den für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs maßgeblichen Wert der Zuwendung u.U. erheblich verringern.
Rz. 114
Die Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung des vorbehaltenen Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts wird in der Literatur stark kritisiert. Dabei lassen sich folgende Auffassungen unterscheiden:
Rz. 115
(1) Eine Meinung will den Wert des Nießbrauchs/Wohnungsrechts unter keinen Umständen vom Wert des Zuwendungsobjekts abziehen. Sie kritisiert an der Rechtsprechung des BGH, dass es mit dem Gerechtigkeitsempfinden nicht zu vereinbaren sei, wenn der Abzug des Nießbrauchs davon abhängig sein soll, ob der Wert des Grundstücks zwischen der Schenkung und dem Erbfall – wenn auch vielleicht nur geringfügig – gestiegen ist oder nicht. Diese Auffassung sieht den Schenkungsvorgang beim Nutzungsvorbehalt vielmehr wie folgt: Geschenkt werde zwar zunächst der Substanz- oder Hüllenwert, also quasi "nacktes Eigentum", jedoch steige dieser mit zunehmendem Zeitablauf und geringer werdender Lebenserwartung des Schenkers infolge der Abnahme des Wertes des Nutzungsrechts, bis der Beschenkte beim Tod des Schenkers das gesamte Schenkungsobjekt unbelastet erworben hat. Bildhaft gesehen liegt also ein zeitlich gestreckter Vermögenserwerb vor, ein Werttransfer, der sich erst mit dem Tod des Erblassers vollendet. Dies fügt sich zwar lückenlos in die Vorstellung des BGH zum Beginn der Ausschlussfrist des § 2325 Abs. 3 BGB beim Nießbrauchsvorbehalt ein (siehe Rdn 173), jedoch sind die Bewertungsfragen hiervon zu trennen. Die völlige Negierung des vorbehaltenen Nutzungsrechts kann schon deshalb nicht richtig sein, weil sie die im Wirtschaftsleben geltenden Gegebenheiten außer Acht lässt: Auf dem Grundstücksmarkt würde eine mit einem solchen Nutzungsrecht belastete Immobilie wesentlich niedriger gehandelt, weil dem Erwerber im Zeitpunkt des Erwerbs eben die Nutzungsmöglichkeit fehlt. Aber auch das Pflichtteilsrecht gebietet ein solches Abzugsverbot des Nutzungsvorbehalts nicht, wie eine "Kontrollüberlegung" zeigt: Durch den Pflichtteilsergänzungsanspruch soll der Pflichtteilsberechtigte im Wesentlichen so gestellt werden, als wäre das Schenkungsobjekt im Zeitpunkt des Erbfalls noch tatsächlich im Nachlass vorhanden. Wird das vorbehaltene Nutzungsrecht aber nicht bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs vom Schenkungsgegenstand abgezogen, so erhält der Pflichtteilsberechtigte etwa bei einer Schenkung eines Miethauses seinen Ergänzungsanspruch aus dem vollen, ungekürzten Zuwendungswert, und zusätzlich werden über den ordentlichen Pflichtt...