Rz. 189
Unbefriedigend ist die BGH-Rechtsprechung zum Genussverzicht auch, wenn Übertragungen gegen Versorgungsleistungen oder dauernde Lasten (= im Gegensatz zur Leibrente regelmäßige, aber grundsätzlich vom jeweiligen Ertrag des Übertragungsgegenstandes abhängige Zahlung) zu beurteilen sind. Wird etwa Unternehmensvermögen (nur dieses kann seit dem 1.1.2008 steuerbegünstigter Gegenstand einer Übertragung gegen Versorgungsleistungen sein, vgl. § 10 Abs. 1a Nr. 2 S. 2 EStG) übertragen und verpflichtet sich der Unternehmensnachfolger, dem Schenker eine lebenslange und wiederkehrende Versorgungsleistung zu erbringen, so fragt sich, ob der Schenker einen spürbaren Vermögensverlust erlitten hat, dessen Folgen er zehn Jahre lang zu tragen hat. Angesichts der unterschiedlichen Vermögenssubstanz (z.B. Unternehmensbeteiligung contra rein fiskalische Beteiligung an Erträgen) führt der Verlust der Unternehmensbeteiligung wohl zu einer signifikanten Veränderung im Vermögensbestand des Erblassers und damit zum Fristbeginn. Denn während bei der Übergabe eines Grundstücks gegen Nießbrauchsvorbehalt dem BGH zugute zu halten ist, dass der Schenker das Grundstück nach der Übertragung zumindest faktisch genauso nutzt wie zuvor, kann das bei der Übertragung von Vermögen – z.B. Unternehmensanteilen – gegen Geldleistungen nicht mehr ohne weiteres angenommen werden. Stattdessen spricht viel für die Annahme eines "Genussverzichts" mit einem Vermögensaustausch (z.B. Unternehmen oder Grundstück gegen Geldleistungen). Selbst wenn ein wirtschaftlicher "Rückfluss" zum Schenker erfolgt, so handelt es sich doch um einen völlig anderen Gegenstand, der in den Nachlass gelangt. Zur Vermeidung von willkürlich und beliebig anmutenden Abgrenzungsschwierigkeiten könnte auf den rechtlichen Leistungserfolg abgestellt werden. Die in den Nachlass fließenden Leistungen stehen dem Pflichtteilsberechtigten im Rahmen seines ordentlichen Pflichtteils zur Verfügung, soweit der Erblasser diese nicht verbraucht hat.
Ebenso wird auch bei der Übertragung eines Kommanditanteils unter Gewährung einer unwiderruflichen Stimmrechtsvollmacht eine wirtschaftliche Ausgliederung, also eine signifikante Veränderung im Vermögensbestand des Schenkers, für möglich gehalten. Dies ist zumindest dann anzunehmen, wenn lediglich die Ausübung des Stimmrechts vorbehalten wird, ansonsten aber alle Rechte an dem Kommanditanteil, etwa das Gewinnbezugsrecht und das Recht auf Anteile am Liquidationserlös, auf den Beschenkten erfolgen. Eine solche Übertragung lässt die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB wohl beginnen.
Rz. 190
Die Behandlung von Zuwendungen an Stiftungen unterliegt auch im Zusammenhang mit § 2325 Abs. 3 BGB und des Beginns der Zehn-Jahres-Frist zunächst keinen Besonderheiten. Oben wurde bereits die Auffassung der h.M. erörtert, wonach Vermögensausstattungen im Rahmen der Stiftungserrichtung als auch spätere Zustiftungen in das Grundstockvermögen und Spenden sowie Zuwendungen in das sonstige Stiftungsvermögen im Wege der analogen Anwendung als Schenkungen im Sinne von § 2325 Abs. 1 BGB gelten können (siehe oben Rdn 91). Somit gilt aber auch für die Abschmelzungsfrist gem. § 2325 Abs. 3 BGB, dass diese mit der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Zuwendung zu laufen beginnt. Hin und wieder wird diskutiert, die Genussrechtsprechung auch auf Stiftungszuwendungen anzuwenden. Behält sich der Stifter, Zustifter oder Spender z.B. den Nießbrauch oder ein Wohnungsrecht am Schenkungsgegenstand vor, kann die oben nachgezeichnete Diskussion, ab wann die Zuwendung als noch nicht "weggeschenkt" gilt, der Übergeber das Geschenk also noch zu stark wirtschaftlich nutzt, auch hier geführt werden. Abgesehen von einigen Besonderheiten des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts spielt es auch keine Rolle, ob es um Zuwendungen an gemeinnützige oder mildtätige Stiftungen oder an Familienstiftungen geht. Selbst bei nichtrechtsfähigen Stiftungen ist keine "Sonderthematik" eröffnet. Wurde diese im Wege einer Schenkung unter Auflage errichtet, gelten die oben genannten Überlegungen zur Schenkung unter Auflage und ihre Behandlung im Pflichtteilsergänzungsrecht auch für eine nichtrechtsfähige Stiftung. Wurde hingegen ein Treuhandvertrag geschlossen, kommt es auf dessen Ausgestaltung an. Je stärker das Recht des Treugebers ausgestaltet ist, das Treugut vom Treuhänder zurückfordern zu können, desto eher würden Gerichte wohl über die Annahme der Genussrechtssprechung nachdenken. Allerdings dürfte in aller Regel Folgendes gelten: Hat der Treugeber Besitz und Eigentum am Treugut dem Treuhänder überlassen und zieht er keinerlei wirtschaftlichen Nutzen daraus, hat er den Vermögensgegenstand rechtlich und wirtschaftlich ausgegliedert; die Zehn-Jahres-Frist gem. § 2325 Abs. 3 BGB beginnt auch dann zu laufen. Sollte das Treugut dann an den Treugeber zurückfallen, z.B. im Wege einer Kündigung des Treuhandvertrags aus wichtigem Grund oder aufgrund einer einvernehmlichen Aufhebung des Treuhandvertrags, ist dem...