Rz. 216

Ein Alltagsfall in der Praxis ist, dass der Erblasser nicht nur Dritte ergänzungspflichtig beschenkt hat, sondern auch der Pflichtteilsberechtigte selbst von ihm schon zu Lebzeiten Schenkungen erhalten hat. Da über den Pflichtteilsergänzungsanspruch der Pflichtteilsberechtigte, wenn auch begrenzt über die Ausschlussfrist des § 2325 Abs. 3 BGB, auch aus lebzeitigen Schenkungen des Erblassers seinen Pflichtteil erhält, ist es nur konsequent, wenn andererseits ein sog. Eigengeschenk, das er selbst vom Erblasser bekam, bei der Berechnung seines Pflichtteils mindernd berücksichtigt wird.[585] Daher bestimmt § 2327 BGB, dass Eigengeschenke dem Nachlass hinzuzurechnen und auf den Ergänzungsanspruch anzurechnen sind.

 

Rz. 217

Dies hat auch und gerade dann zu erfolgen, wenn der Erblasser keine Anrechnungsbestimmung nach § 2315 BGB getroffen hat und auch keine Ausgleichung nach § 2316 BGB vorzunehmen ist; während der ordentliche Pflichtteil durch solche Zuwendungen nicht gekürzt würde, wirken sich solche Eigengeschenke beim Pflichtteilsergänzungsanspruch dennoch immer mindernd aus. Wurden Anrechnungs- und Ausgleichungsbestimmungen bei der Zuwendung unterlassen, kann es daher aus Gründen der Pflichtteilsreduzierung dringend angezeigt sein, eine Schenkung zugunsten derjenigen Pflichtteilsberechtigten vorzunehmen, die keine Zuwendung erhalten haben. Tanck[586] hat dies pointiert mit "Flucht in den Pflichtteilsergänzungsanspruch" ausgedrückt.

 

Rz. 218

In Anknüpfung an das allgemeine System zur Berücksichtigung von Vorempfängen wird in § 2327 BGB dabei zwischen Geschenken unterschieden, die nicht nach § 2315 BGB auf den Pflichtteil anzurechnen wären (§ 2327 Abs. 1 S. 1 BGB), und anrechnungspflichtigen Schenkungen (§ 2327 Abs. 1 S. 2 BGB). Jedoch wird diese systemorientierte Regelung nicht konsequent fortgeführt. So fehlt eine Regelung, wenn eine Schenkung ganz oder teilweise ausgleichungspflichtig nach § 2316 BGB ist (siehe Rdn 238). Die Vorschrift wirft daher zahlreiche Zweifelsfragen auf.

[585] Mot. V, S. 462.
[586] Tanck, ZErb 2000, 3; ausführlich dazu Otta, Vorausleistungen auf den Pflichtteil, S. 133 ff. Zu Gestaltungsüberlegungen auch Wall, ZErb 2011, 10, der eine Kombination mit einem Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall (etwa Lebensversicherung) für möglich hält, dies aber aus Wertungsgesichtspunkten kritisiert.

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