Rz. 258
Zitat
BGB § 844 Abs. 3; StVG § 10; ZPO § 287
1. Die Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Er hat die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen. Ähnlich wie beim Schmerzensgeld sind dabei sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsgedanke in den Blick zu nehmen.
2. Maßgebend für die Höhe der Hinterbliebenenentschädigung sind im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei lassen sich aus der Art des Näheverhältnisses, der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung indizielle Rückschlüsse auf die Intensität des seelischen Leids ableiten.
3. Der in dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD genannte Betrag in Höhe von 10.000 EUR (BT-Drucks 18/11397, 11) bietet eine Orientierungshilfe für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann. Er stellt keine Obergrenze dar.
4. Die Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld diente dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag muss deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben, der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte.
a) Der Fall
Rz. 259
Die Klägerin nahm den beklagten Haftpflichtversicherer auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes in Anspruch.
Rz. 260
Am 13.12.2018 wurde der 81-jährige Vater der Klägerin bei einem Verkehrsunfall getötet. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Pkw hatte bei der Ausfahrt von einem Parkplatz den vorfahrtsberechtigten Pkw des Vaters der Klägerin übersehen. Der Vater der Klägerin verstarb noch am Unfallort. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach stand zwischen den Parteien außer Streit. Der Unfallgegner wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung mit Strafvorbehalt verwarnt.
Rz. 261
Zwischen der Klägerin und ihrem Vater bestand eine enge emotionale Verbundenheit. Die Klägerin verfügte über sämtliche Vollmachten ihres Vaters, außerdem war sie die erste Ansprechpartnerin, wenn es für ihren Vater "etwas zu regeln" gab. Jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz litt die Klägerin unter Schlafstörungen, die zumindest auch auf den plötzlichen Unfalltod ihres Vaters zurückzuführen sind.
Rz. 262
Vorgerichtlich zahlte die Beklagte der Klägerin ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 3.000 EUR. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten weiteren Hinterbliebenengeldes, mindestens jedoch 7.000 EUR.
Das LG hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 3.500 EUR verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das landgerichtliche Urteil abgeändert, soweit die Klage abgewiesen worden war, und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 3.500 EUR verurteilt. Mit der vom OLG zugelassenen Revision begehrte die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 263
Die Revision wandte sich mit Erfolg gegen die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung durch das Berufungsgericht.
Rz. 264
Zwar ist die Bemessung der Höhe der angemessenen Entschädigung grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Ausmaß des durch den Tod zugefügten seelischen Leids bemüht hat. Die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung kann in aller Regel nicht schon deshalb beanstandet werden, weil sie als zu dürftig oder als zu reichlich erscheint; insoweit ist es der Revision verwehrt, ihre Bewertung an die Stelle des Tatrichters zu setzen. Die Revision rügte aber zu Recht, dass die Erwägungen des Berufungsgerichts zu den Grundlagen der Bemessung von Rechtsfehlern beeinflusst waren.
Rz. 265
Das Berufungsgericht war allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Festsetzung der Hinterbliebenenentschädigung nicht lediglich eine schematische Bemessung vorgenommen werden darf, sondern die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten ist und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Die Bestimmungen in § 844 Abs. 3 BGB und § 10 Abs. 3 StVG gewähren einen Anspruch auf Ersatz eines Nichtvermögensschadens. Si...