Rz. 239
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2021, 127 veröffentlicht ist, hat das im "Handbuch Schmerzensgeld" (Schwintowski u.a., 2013) entwickelte und in seinem Urt. v. 18.10.2018 (OLG Frankfurt a.M., NJW 2019, 442) ausgeführte Prinzip einer sogenannten taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes angewandt, allerdings modifiziert hinsichtlich der einzelnen Beträge.
Rz. 240
Diese Erwägungen hielten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach ist zwar grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat. Auch auf der Grundlage dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ließ das Berufungsurteil jedoch Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten erkennen.
Rz. 241
Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers.
Rz. 242
Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat der Tatrichter zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt (BGH, Beschl. v. 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154, juris Rn 15).
Rz. 243
Diesen Grundsätzen wurde die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.
Nach der vom Berufungsgericht (im Streitfall modifiziert) angewandten Methode der sogenannten taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes ergibt sich die Höhe des Schmerzensgeldes in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind.
Rz. 244
Das Berufungsgericht hatte diese Tagessätze für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 EUR (Intensivstation), 100 EUR (Normalstation), 60 EUR (stationäre Reha) und 40 EUR bei 100 % GdS angesetzt. Dies entspreche etwa 5 %, 3 %, 2 % und 1 % des durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommens im Jahr 2011.
Rz. 245
In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor "taggenau" errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden, die sich aus dem besonderen Verschuldensgrad, aus den beiderseitigen Vermögensverhältnissen und aus allen Faktoren ergeben können, die den Einzelfall prägen. Das Berufungsgericht hatte auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der Methode der taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Berufungsgericht im Streitfall abgesehen.
Rz. 246
Zwar maß diese vom Berufungsgericht befolgte Berechnungsmethode im Ausgangspunkt noch zutreffend der Höhe und dem Maß der Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten zentrale Bedeutung für die Ermittlung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB, § 11 S. 2 StVG) bei. Doch ist die gewählte Methode nicht geeignet, das gesetzte Ziel auch zu erreichen.
Rz. 247
Das alleinige Abstellen auf die Dauer des Krankenhausaufenthalts und auf die Frage, ob der Geschädigte auf der Intensiv- oder einer Normalstation behandelt wurde, gründet auf der Annahme, dass sich die Lebensbeeinträchtigung zweier Patienten, die für dieselbe Dauer auf der gleichen Stationsart behandelt werden, unabhängig davon entspreche, ob Auslöser für die Behandlung etwa eine Querschnittlähmung oder Arm- und Rippenfrakturen seien. Hierdurch ließ das Berufungsgericht wesentliche für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgebliche Umstände außer Acht, namentlich, welche Verletzungen der Kläger überhaupt erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm durch die Verletzungen und ggf. auch durch die Behandlungsmaßnahmen ausgelöst wurde.
Rz. 248
Eine stationäre Behandlung kann aus einer Vielzahl von Gründen vera...