Rz. 2

Das Kündigungsverbot ist bereits aufgrund Art. 10 der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG rechtlich geboten.[2]

Das primäre Anliegen des mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzes besteht darin, der werdenden Mutter und der Wöchnerin trotz ihrer etwa mutterschaftsbedingten Leistungsminderung oder Arbeitsunfähigkeit den Arbeitsplatz als wirtschaftliche Existenzgrundlage zu erhalten und sie vor den psychischen Belastungen eines Kündigungsschutzprozesses zu schützen.

[2] Vgl. auch EuGH v. 11.10.2007, NZA 2007, 1272.

I. Geltungsbereich und Dauer

 

Rz. 3

Nach der zentralen Regelung des § 17 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung und bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung, unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Gem. § 1 Abs. 2 und 4 gilt das MuSchG für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt und die in einem Beschäftigungsverhältnis i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV steht. Das Gesetz gilt unabhängig von einem solchen Beschäftigungsverhältnis auch für die in § 1 Abs. 2 S. 2 MuSchG genannten Personen. Das MuSchG ist auf alle Formen der Teilzeitbeschäftigung, auf geringfügig Beschäftigte und auf befristete Arbeitsverhältnisse ebenso wie auf Aushilfs-, Probe- und nebenberuflich geführte Arbeitsverhältnisse anwendbar. Über § 3 Abs. 2 BBiG genießen auch minderjährige Auszubildende den besonderen Kündigungsschutz.[3] Der Mutterschutz greift bereits mit dem Vertragsschluss ein, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme oder die Erfüllung einer Wartezeit ankommt.[4] Selbstständige und freie Mitarbeiterinnen genießen dagegen keinen mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz. Bei GmbH-Geschäftsführerinnen besteht ein Beschäftigungsverhältnis i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV, soweit sie Beschlüsse der Gesellschafter verhindern können. Auf die Fremdgeschäftsführerin und die geschäftsführende Gesellschafterin ohne Mehrheitsbeteiligung oder Sperrminorität wird der Sonderkündigungsschutz aus § 17 MuSchG angewandt.[5] Vorstandsmitglieder genießen grundsätzlich den Schutz aus § 17 MuSchG, sofern sie nicht in den Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III fallen oder die Versicherungspflichtgrenze überschreiten.[6] Handelt es sich um ein bloß faktisches Arbeitsverhältnis, gilt § 17 MuSchG nicht, weil ein solches Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Kündigung beendet werden kann. § 17 MuSchG greift auch dann nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag beendet wird.[7]

[3] BVerwG v. 26.8.1970, AP Nr. 32 zu § 9 MuSchG = NJW 1971, 1328.
[4] BAG v. 27.2.2020, NZA 2020, 721; KR/Gallner, § 17 MuSchG Rn 100; Fuhlrott, AuA 2015, 154; Reidel, öAT 2020, 205.
[5] Freyler, NZG 2021, 1348; APS/Rolfs, § 17 MuSchG Rn 26 ff.; KR/Gallner, § 17 MuSchG Rn 38.
[6] APS/Rolfs, § 17 MuSchG Rn 29.
[7] Vgl. hierzu auch BSG v. 16.2.2005, NZA-RR 2005, 542.

II. Voraussetzungen des Kündigungsschutzes

1. Schwangerschaft

 

Rz. 4

Das absolute Kündigungsverbot setzt bei einer normal herbeigeführten Schwangerschaft objektiv das Bestehen der Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung voraus.[8] Zur Feststellung des Beginns der Schwangerschaft ist von dem in einem ärztlichen Attest prognostizierten Entbindungstag um 280 Tage zurückzurechnen, wobei der voraussichtliche Entbindungstag nicht mitzurechnen ist.[9] Diese Berechnungsmethode des BAG wurde in der jüngeren Vergangenheit vom LAG Baden-Württemberg und Teilen der Literatur abgelehnt. Bei der Rückberechnung handele es sich um eine Herleitung des wahrscheinlichen Schwangerschaftsbeginns über statistische Wahrscheinlichkeiten. Dies soll jedoch allenfalls über einen Anscheinsbeweis möglich sein. Es müsse daher auf den typischen Geschehensablauf ankommen. Eine solche typische Wahrscheinlichkeitsbeurteilung könne nur für den Zeitraum von 266 Tagen vor der (voraussichtlichen) Entbindung getroffen werden. Entgegen der Berechnung des BAG vom ersten Tag der letzten Regelblutung sei ein Schwangerschaftsbeginn in diesem Zeitraum höchst unwahrscheinlich, mithin nahezu ausgeschlossen.[10] Eine Umkehr des BAG ist jedoch nicht zu erwarten. Es hat sich erst kürzlich mit kritischen Stimmen auseinandergesetzt und dabei die ständige Rechtsprechung bestätigt.[11] Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Schutzes der Schwangeren ist auf die Rückrechnung um 280 Tage von dem vom Arzt angegebenen voraussichtlichen Entbindungstermin abzustellen.[12]

Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung nur erschüttern, wenn er darlegen und beweisen kann, dass das Vorliegen einer Schwangerschaft bei Kündigungszugang gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen würde.[13] Ergibt sich nach dieser Berechnung, dass die Schwangerschaft erst nach Zugang der Kündigung eingetreten ist, oder wird eine Schwangerschaft lediglich irrtümlich angenomme...

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