Rz. 54
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen einen besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz durch das SGB IX. Die Regelungen in §§ 168–175 SGB IX haben zum 1.7.2001 die vormals geltenden §§ 15–22 SchwbG abgelöst und entsprechen diesen weitestgehend. Weitere Ergänzungen dieser Normen sind durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vorgenommen worden und beanspruchen seit dem 1.5.2004 Geltung. Der besondere Bestandsschutz erfasst die Arbeitsverhältnisse schwerbehinderter Menschen (§ 168 SGB IX) und ihnen Gleichgestellter (§ 151 SGB IX) und bezweckt den Schutz vor Kündigungen aus Gründen der Schwerbehinderung. Die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ist nur mit der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts möglich.
I. Geltungsbereich und gesetzliche Ausnahmen
Rz. 55
Der Kündigungsschutz der §§ 168 ff. SGB IX besteht in allen Betrieben, unabhängig von der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer. Er besteht auch dann, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer über die in § 154 SGB IX vorgeschriebene Pflichtzahl hinaus beschäftigt wird. Vom besonderen Kündigungsschutz erfasst sind grundsätzlich alle Kündigungen, also ordentliche und außerordentliche, Änderungs- und Massenkündigungen, Kündigungen in der Insolvenz etc.
Rz. 56
Erforderlich ist das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Über § 210 Abs. 2 S. 2 SGB IX sind auch schwerbehinderte Menschen, die in Heimarbeit beschäftigt sind, in den Schutzbereich einbezogen. Für arbeitnehmerähnliche Personen gilt dies nur dann, wenn sie aufgrund eines Arbeitsvertrags beschäftigt werden, nicht dagegen, sofern sie aufgrund eines selbstständigen Dienstvertrages tätig werden. Auszubildende sind ebenfalls vom besonderen Kündigungsschutz erfasst. Im Gegensatz zu leitenden Angestellten erstreckt sich der Anwendungsbereich nicht auf Vertreter juristischer Personen, da diese keine Arbeitnehmer sind. Arbeitsvertragliche Klauseln, die den Verzicht des besonderen Kündigungsschutzes zum Gegenstand haben, sind unwirksam.
Rz. 57
Der besondere Kündigungsschutz entfällt in einer Reihe von Fällen, die § 173 SGB IX enumerativ aufzählt. Zu beachten ist insbesondere die dem allgemeinen Kündigungsschutz des KSchG entsprechende Wartezeit von sechs Monaten und die Sonderregelung für Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet sowie einen darüber hinausgehenden Anspruch der in § 173 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX beschriebenen Art haben.
II. Voraussetzungen des Kündigungsschutzes
1. Schwerbehinderteneigenschaft
Rz. 58
Menschen sind i.S.d. § 2 Abs. 2 SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i.S.d. § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben. Unterfällt das zu kündigende Arbeitsverhältnis nicht deutschem Vertragsstatut, ist der Sonderkündigungsschutz nicht einschlägig. Der Grad der Behinderung wird gem. § 152 SGB IX auf Antrag durch die Versorgungsämter festgestellt, wobei der Feststellung nur deklaratorische Bedeutung zukommt. Das SGB IX knüpft den Sonderkündigungsschutz im Grundsatz an den objektiven Bestand der Schwerbehinderteneigenschaft. Der Sonderkündigungsschutz steht dem schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen also bereits dann zu, wenn er im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens rechtzeitig einen entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt gestellt hat.
Rz. 59
Um einer missbräuchlichen Antragstellung des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Kündigung entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber in § 173 Abs. 3 SGB IX den besonderen Kündigungsschutz eingeschränkt. Nach dieser Norm findet der Schwerbehindertenschutz des § 168 SGB IX nur dann Anwendung, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig oder nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt in den Fristen des § 152 Abs. 1 S. 3 SGB IX trotz ausreichender Mitwirkung des Antragstellers keine Feststellung getroffen hat. Die Frist des § 152 Abs. 1 S. 3 SGB IX beträgt gem. § 14 Abs. 2 S. 2 und 3 sowie § 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 SGB IX maximal drei Wochen nach Antragseingang, falls für die Feststellung kein Gutachten erforderlich ist, bzw. maximal sieben Wochen nach Antragseingang für den Fall der Notwendigkeit der Gutachtenerstellung.
Rz. 60
Praxishinweis
Will sich der schwerbehi...