Patricia Goratsch, Florian Enzensberger
Rz. 92
Unter einem Vermächtnis ist die Zuwendung eines Vermögensvorteils in einer Verfügung von Todes wegen ohne Erbeinsetzung (§ 1939 BGB) zu verstehen. Das Vermächtnis begründet keine unmittelbare Vermögensnachfolge. Es erfolgt also kein "Von-Selbst-Erwerb" des zugewandten Vermögensvorteils an den Vermächtnisnehmer. Dieser erlangt lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Erfüllung gegen den Beschwerten (§ 2147 BGB). Das Vermächtnis wird i.d.R. mit dem Erbfall fällig. Der Erblasser kann die Fälligkeit jedoch auch durch eine aufschiebende Bedingung bzw. Befristung auf einen späteren Zeitpunkt hinausschieben (§ 2177 BGB). Zwischenzeitlich entsteht zugunsten des Bedachten ein Anwartschaftsrecht. Vermächtnisnehmer kann jede natürliche oder juristische Person sein.
Rz. 93
Vor dem Anfall des Vermächtnisses ist auch keine dingliche Sicherung des mit einem Grundstückvermächtnis Bedachten durch eine Vormerkung gem. § 883 BGB möglich, da vorher für den Bedachten lediglich eine Hoffnung aber keine gesicherte Anwartschaft besteht. Der Anspruch auf Forderung des Vermächtnisses, den der Bedachte mit Anfall des Vermächtnisses erwirbt, ist allerdings im Grundbuch vormerkungsfähig, sofern es sich um einen Anspruch auf dingliche Rechtsänderung an Grundstücken handelt.
Rz. 94
Möglicher Gegenstand eines Vermächtnisses kann alles sein, was Ziel eines Anspruchs, also Inhalt einer Leistung sein kann (z.B. Zahlung eines Geldbetrages, Quotenvermächtnis, Immobilien(-anteile), Hausrat, Erlass einer Forderung etc.).
a) Ausschlagung des Vermächtnisses
Rz. 95
Der Bedachte kann das Vermächtnis durch formlose empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Beschwerten ausschlagen (§§ 2176, 2180 BGB). Eine Ausschlagung gegenüber dem Nachlassgericht ist nicht möglich. Die Erklärung kann erst nach dem Erbfall erfolgen und ist bedingungs- und befristungsfeindlich (§ 2180 Abs. 2 BGB). Nach der Annahme kann der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis nicht mehr ausschlagen (§ 2180 BGB). Eine Ausschlagungsfrist besteht nicht. Der Beschwerte kann dem Bedachten auch keine Erklärungsfrist setzen, weswegen der Beschwerte grundsätzlich beliebig lang durch den Bedachten hingehalten werden kann. Ist ein Pflichtteilsberechtigter Vermächtnisnehmer gilt aber auch § 2307 Abs. 2 BGB, der Erbe kann dem Pflichtteilsberechtigten dann eine Annahmefrist setzen, damit Klarheit besteht, ob ein Pflichtteils- oder ein Vermächtnisanspruch zu erfüllen ist. Der Anspruch auf Erfüllung eines Vermächtnisses verjährt nach neuem Recht in drei Jahren. Grundstücksvermächtnisse verjähren nach der h.M. in zehn Jahren.
b) Beschwerter
Rz. 96
Mit dem Vermächtnis kann ein Erbe oder Vermächtnisnehmer beschwert werden. Ist ein Vermächtnisnehmer beschwert, so bedeutet das die Verpflichtung zu Lasten eines Dritten. Auch der Ersatzerbe und ein Nacherbe können beschwert werden – allerdings erst ab Eintritt des Nacherbfalls. Hat der Erblasser nichts anderes bestimmt, ist der Erbe beschwert (§ 2147 S. 2 BGB). Mehrere Erben oder Vermächtnisnehmer sind im Zweifel unter sich im Verhältnis ihrer Erbquoten bzw. dem Wert ihrer Vermächtnisse beschwert (§ 2148 BGB). Die Miterben sind im Zweifel als Gesamtschuldner beschwert und haften grundsätzlich sowohl mit dem Nachlass als auch mit ihrem Privatvermögen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken. Die Haftung im Innenverhältnis bestimmt sich nach h.M. nach § 2148 BGB, wohingegen sich die Haftung im Außenverhältnis nach den §§ 2058, 420 ff. BGB bestimmt.
c) Ersatzvermächtnisnehmer und Anwachsung
Rz. 97
Hat der Erblasser ausdrücklich für den Fall, dass der zunächst Bedachte wegfällt, den Gegenstand einem anderen zugewandt, finden gem. § 2190 BGB die Vorschriften für die Einsetzung eines Ersatzerben Anwendung (§§ 2097 bis 2099 BGB). Das heißt, dass das Recht des Ersatzvermächtnisnehmers dem Anwachsungsrecht nach § 2158 BGB vorgeht. Der Ersatzvermächtnisnehmer erhält das Vermächtnis nicht nur für den Fall, dass der zunächst Bedachte vorverstirbt (§ 2160 BGB), sondern auch bei Ausschlagung (§ 2180 BGB), Verzicht (§ 2352 BGB) Vermächtnisunwürdigkeit (§ 2345 BGB), Tod vor Eintritt der Bedingung (§ 2074 BGB) sowie bei Anfechtung (§§ 2078 ff., 2345 BGB).
Rz. 98
Wie auch bei der Bestimmung eines Ersatzerben gilt auch beim Vermächtnis die Auslegungsregel des § 2069 BGB, für den Fall, dass der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser weggefallen ist.
Rz. 99
§ 2158 BGB enthält eine Anwachsungsregel für den Fall, dass mehrere gemeinschaftlich einen Vermächtnisanspruch haben. Die ausdrückliche Ersatzberufung geht dem Anwachsungsrecht allerdings vor.
Praxishinweis
Dem Mandanten ist dringend bzgl. jeder Vermächtnisanordnung die ausdrückliche Bestimmung eines Ersatzvermächtnisnehmers zu empfehlen, oder aber die Ersatzvermächtnisnehmerschaf...