Rz. 70

Der Rechtsgedanke des § 852 Abs. 2 BGB a.F. führt in § 203 BGB zu einer allgemeinen Regelung der Verjährungshemmung durch Verhandlungen, um deren Zweck, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, nicht unter den Zeitdruck einer ablaufenden Verjährungsfrist zu setzen.[228] Nach § 203 Satz 1 BGB ist die Verjährung gehemmt, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Darunter fallen alle Ansprüche, die nach BGB verjähren, gleichgültig, ob sie der Regel- oder einer Sonderverjährung unterliegen.[229] Zur Hemmung führen aber nur Verhandlungen in der Zeit nach Anlaufen der Verjährungsfrist. Liegen die Voraussetzungen für die Hemmung schon vorher vor, wird der entsprechende Zeitraum bei der Berechnung der Frist nicht berücksichtigt.[230] Umgekehrt können auch keine Verhandlungen mehr hemmen, wenn sie nach Eintritt der Verjährung stattgefunden haben, auch wenn die Parteien sich über den Verjährungseintritt im Unklaren waren.[231] Schlafen Verhandlungen ein, werden sie aber später wieder aufgenommen, ist die Zwischenzeit nicht zur Verjährungshemmung zu zählen; die wiederaufgenommenen Verhandlungen wirken also nicht auf schon einmal zuvor geführte und dann beendete Verhandlungen zurück.[232]

 

Rz. 71

Verzichtet der Schuldner während des Laufs der Verjährungsfrist für eine bestimmte Zeit auf die Verjährungseinrede (vgl. Rdn 114), so wird dadurch eine Verjährungshemmung gem. § 203 BGB grds. nicht berührt.[233]

[228] Entwurfsbegründung SchuModG, BR-Drucks 338/01, S. 248.
[229] Palandt/Ellenberger, BGB, § 203 Rn 1; BGH, 1.2.2007 – IX ZR 180/04, WM 2007, 801 = NJW-RR 2007, 1358; OLG Koblenz, NJW 2006, 3150.
[230] BGH, 25.4.2017 – VI ZR 386/16, WM 2017, 1805 = NJW 2017, 3144.
[231] BGH, 15.12.2016 – IX ZR 58/16, WM 2018, 142 (Tz.18).
[232] BGH, 15.12.2016 – IX ZR 58/16, WM 2018, 142 (Tz. 20 ff.).
[233] BGH, NJW 2004, 1654, zu § 852 Abs. 2 BGB a.F.; BGH, 7.5.2014 _– XII ZB 141/13, NJW 2014, 2267; BGH, 16.3.2009 – II ZR 32/08, NJW 2009, 1598; OLG Hamm, 29.11.2012 – 28 U 188/11, GI aktuell 2013, 76.

a) Begriff der Verhandlung

 

Rz. 72

Verhandlungen i.S.d. § 203 Satz 1 BGB sind in weitem Sinne zu verstehen.[234] In Fortführung der Rechtsprechung zu § 852 Abs. 2 BGB a.F.[235] genügt jeder Meinungsaustausch[236] über den Anspruch oder die anspruchsbegründenden Umstände, sofern nicht eine entsprechende Erörterung oder jede Leistung sofort und eindeutig abgelehnt wird; Verhandlungen schweben schon dann, wenn der Schuldner Erklärungen abgibt, die dem Gläubiger die Annahme gestatten, der Schuldner lasse sich auf eine Erörterung der Berechtigung des Anspruchs ein, ohne dass eine Vergleichsbereitschaft oder ein Entgegenkommen angezeigt werden muss. Die Ankündigung des Anwalts, seinen Haftpflichtversicherer zu informieren, bedeutet kein Verhandeln und führt dementsprechend nicht zur Verjährungshemmung.[237]

[234] BGH, NJW 1983, 2075, 2076; BGH, NJW 2001, 1723, jeweils zu § 852 Abs. 2 BGB a.F.; BGH, 26.10.2006 – VII ZR 194/05, NJW 2007, 587 (Tz. 10); BGH, 1.2.2007 – IX ZR 180/04, WM 2007, 801, 803 (Tz. 32) = NJW-RR 2007, 1358, 1360; BGH, 6.11.2008 – IX ZR 158/07, WM 2009, 282 f. (Tz. 9–13) = NJW 2009, 1806, 1807; BGH, 1.7.2010 – IX ZR 40/07, BRAK-Mitt. 2010, 211 (Tz. 1 ff.).
[235] BGH, 28.11.1984 – VIII ZR 240/83, BGHZ 93, 64, 66 f. = NJW 1985, 798; BGH, DB 1991, 2183; BGH, NJW 2001, 885, 886; BGH, NJW 2001, 1723; BGH, MDR 2001, 936; BGH, NJW 2004, 1654, jeweils zu § 852 Abs. 2 BGB a.F.
[236] BGH, 12.5.2011 – IX ZR 91/08, BFH/NV 2011, 1471; BGH, 19.12.2013 – IX ZR 120/11, MDR 2014, 202.
[237] OLG Frankfurt, 15.8.2008 – 19 U 57/08 m. Anm. Chab, BRAK-Mitt. 2008, 259; BGH, 3.2.2011 – IX ZR 105/10, MDR 2011, 515.

b) Gegenstand der Verhandlung

 

Rz. 73

Verhandlungen i.S.d. § 203 BGB müssen nicht einen Anspruch aus einer bestimmten Rechtsgrundlage betreffen.[238] Da Gegenstand der Verhandlungen auch "die den Anspruch begründenden Umstände" (vgl. Rdn 40) sein können, genügt es, wenn der Gläubiger die Befriedigung eines Interesses aus einem bestimmten Sachverhalt begehrt. Verhandlungen erstrecken sich i.d.R. auch auf Ansprüche i.S.d. § 213 BGB.

Die Verjährungshemmung erfasst einen abtrennbaren Teil eines Anspruchs ausnahmsweise dann nicht, wenn die Parteien nur über den anderen Teil verhandeln.[239]

Die Fälle des § 639 Abs. 2 BGB a.F. fallen nunmehr unter § 203 BGB.[240]

Durch einen Widerrufsvergleich, der in einer gerichtlichen Güteverhandlung geschlossen wird, wird die Verjährung eines vom Vergleich umfassten Anspruchs gem. § 203 Satz 1 BGB bis zur Erklärung des Widerrufs gehemmt.[241]

[238] Dazu und zum Folgenden: Entwurfsbegründung SchuModG, BR-Drucks 338/01, S. 250.
[239] BGH, WM 1998, 871, 872 = NJW 1998, 1142, zu § 852 Abs. 2 BGB a.F.
[240] Bereska, in: Henssler/Graf von Westphalen, § 203 Rn 10.
[241] BGH, NJW 2005, 2004, 2006.

c) Verweigerung der Fortsetzung der Verhandlungen

 

Rz. 74

Die Hemmungszeit endet nach § 203 Satz 1 BGB, wenn eine Partei die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Ein solcher Abbr...

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